Literarische Entstehungsgeschichten: Gregory Maguire vs. Elizabeth Barrett Browning
Shownotes
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Pia und Christina haben wieder eure Lieblingsrubrik mitgebracht: Die Literarischen Entstehungsgeschichten.
In der heutigen Folge überraschen sich die beiden wieder mit einer jeweils vorbereiteten Entstehungsgeschichte eines Romans beziehungsweise Oeuvres. Der Clou: Die beiden wissen nicht, welche Geschichte die andere vorbereitet hat.
Während Pia diesmal in die Welt von Oz und der nicht-so-bösen Hexe des Westens entführt, stellt Christina die (beinahe) in Vergessenheit geratene englische Dichterin Elizabeth Barrett Browning vor. Taucht ein hinter die Kulissen großer Literatur.
Ihr könnt abstimmen, welche Geschichte euch besser gefallen hat. Oder vielleicht interessiert ihr euch für eine Entstehungsgeschichte, und Christina oder Pia sollen sie recherchieren und erzählen: Schreibt uns auf Instagram (stadtbibliothek.innsbruck) oder post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at.
Gibt’s auch in der Stadtbibliothek:
„Wicked: The Life and Times of the Wicked Witch of the West“, Gregory Maguire
https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/122764?query=Wicked%3A%20The%20Life%20and%20Times%20of%20the%20Wicked%20Witch%20of%20the%20West
„Wicked“ – die Filmadaption:
https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/119826?query=wicked
„Der Zauberer von Oz“, L. Frank Baum:
https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/76802?query=frank%20baum (ebook)
„How Do I Love Thee“, Elizabeth Barrett Browning in „Poems of Happiness“ (Hg. Gaby Morgan):
https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/103384?query=elizabeth%20barrett%20browning (Englisch)
Briefe von Elizabeth Barrett Browning (Gutenberg-Project):
https://www.gutenberg.org/files/16182/16182-h/16182-h.htm
Haymon Her Story: „Eine Frau zwischen gestern und morgen“, Doris Brehm:
https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/120945
query=eine%20frau%20zwischen%20gestern%20und%20morgen
#svorwort #popcast #bibcast #literarischeentstehungsgeschichten #gemeinsambesserlesen #stadtstimmen
Transkript anzeigen
00:00:00: [moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchen führen. [moduliert
00:00:06: Pia: [lachend] Die gefälschten Umfragen.
00:00:09: Christina: Wie bitte was?
00:00:10: Hallo ...
00:00:11: Pia: Fake News.
00:00:12: Christina: Tsch.
00:00:13: Pia: Ja. [Intro-Musik]
00:00:14: Christna:Hallo und herzlich willkommen zurück zum Vorwort, dem Podcast der Stadtbibliothek Innsbruck.
00:00:34: Mein Name ist Christina - Pia: und ich bin die Pia - und heute haben wir wieder zwei literarische
00:00:38: Entstehungsgeschichten für euch, wo der Clou ist, das Pia und ich, weil ich jeweils
00:00:43: eine Entstehungsgeschichte eines berühmten literarischen Werkes oder Oevres vorstellen,
00:00:48: euch und uns gegenseitig, aber normalerweise nicht wissen, was die andere Person hat.
00:00:56: Die Pia weiß diesmal aus verschiedenen organisatorischen Gründen [beide lachen, wen ich habe.
00:01:03: Genau, aber ich weiß nicht, wenn du ausgewählt hast, Pia.
00:01:06: Bin schon sehr gespannt.
00:01:07: Pia: Schauen wir mal.
00:01:08: Christina: Bevor Pia mit ihrer Geschichte anfängt, darf ich noch das Ergebnis der letzten Abstimmung
00:01:14: verkünden.
00:01:15: Erstens einmal vielen herzlichen Dank an alle Zuhörerinnen und Zuhörer da draußen, die
00:01:20: mit solchen geschmacklichen Feinsinn abgestimmt haben.
00:01:25: Und Stephen King mit "Carrie" hat 70% der Stimmen erhalten und "The Vampyr" von John Polidori
00:01:33: hat 30% der Stimmen erhalten und damit möchte ich sagen, gehe ich [lacht, Pia stimmt ein] in Führung.
00:01:42: Pia: Frechheit.
00:01:43: Schau wie sie sich einschleimt bei den Leuten und sich auch noch bedankt dafür, dass alle
00:01:47: sie wählen. [lacht]
00:01:48: Christina: Ja, ich rede mit euch direkt und die Pia redet über euch.
00:01:51: Pia: [lacht] Ja, genau.
00:01:52: Christna:Das ist schon der Unterschied.
00:01:53: Pia: Ja, das ist der Unterschied.
00:01:54: Ja, das stimmt.
00:01:55: Christina: [lacht leise] Ja, also, mal schauen, ob du aufholst, dann lassen wir dich einmal anfangen.
00:02:00: Pia: Also…
00:02:01: Christina: Wobei, Entschuldigung, ich muss noch, was ich dazu sagen will, zu unseren Abst--, ich
00:02:08: hätte nicht gedacht, dass ich gewinne, hätte gedacht, dass fix die John Polidori-Geschichte
00:02:14: gewinnt.
00:02:15: Die hat mir nämlich von unseren beiden, mir persönlich hat die John Polidori besser
00:02:18: gefallen.
00:02:19: Pia: Ja, aber "Carrie" ist viel bekannter.
00:02:20: Christina: Ist es nur das? Weil gerade das Unbekannte ist das Interessante.
00:02:24: Warum?
00:02:25: Pia: Ja, wir haben vielleicht beim Abstimmen denken sich die Leute, denn Stephen King ist so cool.
00:02:29: Von Polidori hat noch keiner was gehört.
00:02:31: Christina: Dann mach ich jetzt nur noch Stephen King, glaube ich.
00:02:34: Pia: Genau. [beide lachen]
00:02:35: Christina: Okay, schieß los.
00:02:36: Pia: Meine Entstimmungsgeschichte, da geht es um "Wicked" von Gregory Maguire.
00:02:40: Die Welt von der Zauberer von Oz faszinierte Leser*innen und Zuschauer*innen seit der
00:02:45: Veröffentlichung von L. Frank Baums Roman im Jahr 1900 und natürlich der berühmte Verfilmung
00:02:51: von 1939.
00:02:52: Doch während die Geschichte von Dorothy und ihren Gefährten Generationen verzauberte,
00:02:57: fragte sich ein Mann, ob es nicht doch eine andere tiefere Wahrheit hinter den Märchen
00:03:02: gab.
00:03:03: Dieser Mann war Gregory Maguire.
00:03:05: Es begann mit einer Frage: Was, wenn die böse Hexe des Westens gar nicht böse war.
00:03:10: Seit Kindheitstagen hatte Maguire "Der Zauberer von Oz" gekannt, das Leuchten der smaragdgrünen
00:03:15: Stadt, den goldenen Glanz des Weges, die klare Trennung zwischen Gut und Böse, Dorothy
00:03:20: die Heldin, der Zauberer ein Schwindler, die Hexen, eine von ihnen lieblich, die andere
00:03:26: eine schreckliche gefürchtete Kreatur, aber was, wenn die Geschichte falsch erzählt worden
00:03:31: war?
00:03:32: In den frühen 1990er Jahren, in einer Welt, die sich mit neuen Fragen über Identität
00:03:37: und Gerechtigkeit und Moral auseinandersetzte, begann Maguire tiefer zu graben.
00:03:42: Er durchsuchte alte Märchen, Mythen und Legenden und immer wieder begegnete ihm dasselbe Motiv.
00:03:48: Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben.
00:03:51: So fragte er sich, ob es auch ausreichen könnte, eine Person als Böse zu bezeichnen, um eine
00:03:56: selbst erfüllende Prophezeiung auszulösen.
00:03:59: Während Maguire zu Beginn des Golfkriegs in London arbeitete, war er von seiner eigenen
00:04:03: Reaktion auf eine Zeitungsüberschrift überrascht,
00:04:06: die Saddam Hussein mit Adolf Hitler verglich.
00:04:08: In einem Interview sagte er: Ich hatte eine instinktive Reaktion, allein aufgrund des Wortes
00:04:13: 'Hitler'.
00:04:14: Mein Verstand wurde für einen Moment für eine Welle der Panik überrollt, ausgelöst durch
00:04:19: ein einziges Wort.
00:04:20: Ich begann mich dafür zu interessieren, wie wir Worte benutzen, um unsere Kräfte für
00:04:24: den Kampf zu mobilisieren."
00:04:26: Maguire, der bis dahin ausschließlich Kinderbücher geschrieben hat, wollte diesen Gedanken
00:04:30: ausarbeiten.
00:04:31: Zuerst wollte er ein Buch über Hitler schreiben, er fühlte sich aber nicht wohl dabei und
00:04:35: entschloss sich für eine Figur, die ihm bereits in seiner Kindheit Angst gemacht hatte.
00:04:39: Er fragte sich, wie entsteht eine Böse in einer Welt, die Helden und Schurken klar trennt?
00:04:45: Und so begann er, eine alternative Version der bekannten Geschichte zu entwerfen.
00:04:49: Christina: Eine Villain-Origin-Story.
00:04:51: Pia: Genau. Aus der Sicht derjenigen, die in "Der Zauberer von Oz" zu Antogonistin erklärt wurde, die
00:04:56: böse Hexe des Westens.
00:04:58: So entstand in seinem Kopf eine neue Figur, eine junge Frau mit grüner Haut, die sich
00:05:02: nirgends einfügen konnte, eine Frau, die nicht in schwarz und weiß dachte, eine Frau, die
00:05:07: ihre Stimme erhob und dafür von der Welt verstoßen wurde.
00:05:10: Ihr Name war Elphaba.
00:05:12: Christina: ... Alfafa?
00:05:13: Pia:El-pha-ba.
00:05:14: Christina. Elphaba.
00:05:15:
00:05:16:
00:05:17: Warte, dazu komme ich noch.
00:05:19: Was also, wenn die böse Hexe des Westens gar nicht böse war?
00:05:22: Was, wenn sie in Wahrheit eine missverstandene Figur war, deren Geschichte nie erzählt wurde?
00:05:27: Maguire wollte eine vielschichtige Figur schaffen, die mehr als nur eine eindimensionale Gegenspielerin
00:05:32: ist.
00:05:33: Er gab ihr eine Hintergrundgeschichte, Emotionen, Motive und einen Namen.
00:05:38: Inspiriert von L. Frank Baum, dessen Initialen LFB - Christina: Ohhhhh .... - sich zu Elphaba umformen ließen, gab
00:05:48: ihr eine Identität, jenseits des Schreckensbildes, das die ursprüngliche Geschichte gezeichnet
00:05:53: hatte.
00:05:54: Seine Version von Oz wurde düsterer, komplexer und politischer.
00:05:59: Der Zauberer war zum Beispiel auch inspiriert von Richard Nixon. [Christina lacht überrascht auf.]
00:06:02: Oder? - Christna: Das ist gut.
00:06:06: Pia: Statt einer simplen Gut gegen Böse-Erzählung entfaltet es sich eine Geschichte über Vorurteile,
00:06:12: Macht, Moral und den Wunsch nach Akzeptanz.
00:06:15: Elphaba wurde nicht als Böse geboren, sie wurde von einer Gesellschaft, die sie nicht
00:06:19: verstand, dazu gemacht.
00:06:20: 1995 veröffentlichte Maguire dann "Wicked: The Life and Times of the Wicked Witch of the
00:06:25: West".
00:06:26: Christina: Übrigens, kann man ganz kurz darauf eingehen, wie "Wicked Witch of the West", wie gut diese
00:06:32: Alliteration einfach ist.
00:06:33: Pia: Genial, oder?
00:06:34: Christina: Ja.
00:06:35: Pia: Der Roman fand eine treue Leserschaft, besonders unter Erwachsenen, die mit "Der Zauberer von
00:06:39: Oz" erwachsen geworden ... äh ... die mit "Der Zauberer von Oz" aufgewachsen waren.
00:06:44: Nun aber eine reifere und tiefgründigere Perspektive auf die Geschichte suchten.
00:06:48: "Wicked" wurde zu einem Bestseller und begründete eine ganze Buchreihe "The Wicked Years", die
00:06:54: die Welt von Oz aus neuen Blickwinkeln erforschte.
00:06:57: Doch der eigentliche Durchbruch kam als das Buch für die Bühne adaptiert wurde.
00:07:02: Stephen Schwartz, ein Komponist sah in Maguires Werk einer anderen Art von Musik.
00:07:07: 2003 erhob sich die Hexe auf einer Bühne am Broadway in die Lüfte und wurde zu einem
00:07:11: der größten Musical-Erolge aller Zeiten.
00:07:14: Die Geschichte von Elphaba und Glinda, ihren gegensätzlichen Persönlichkeiten, ihrer
00:07:18: Freundschaft und ihrem Schicksal bewegten Millionen von Menschen.
00:07:21: Christina: Wer ist jetzt Glinda?
00:07:22: Pia: Das ist die gute Hexe.
00:07:24: Christina: Ah, danke.
00:07:25: Ich hab das schon lange nicht mehr gelesen, deswegen.
00:07:28: Pia: "Wicked" war kein einfacher Roman mehr, es war ein Phänomen, eine neue Legende und vielleicht
00:07:32: sogar die richtige Geschichte von Oz.
00:07:34: Gregory Maguires "Wicked" ist mehr als nur eine Nachherzählung, es ist eine Geschichte über
00:07:38: Außenseiter, über die Frage, wer entscheidet, was gut und böse ist und darüber, wie sich
00:07:43: Legenden von der Realität unterscheiden können.
00:07:46: Maguires verwandelte eine alte Geschichte in etwas völlig Neues und schuf damit eine
00:07:50: moderne Ikone der Fantasy-Literatur: Elphaba, die grüne Hexe.
00:07:54: Genau.
00:07:55: Und zur Feier des Tages singt uns jetzt die Cristina noch "Defying Gravity", oder? [Christina räuspert sich theatralisch, Pia lacht]
00:08:01: Christina: Ja, und es war natürlich auch der Moment für Ariana Grande endlich als Schauspielerin
00:08:11: durchzubrechen.
00:08:12: Pia: Ja.
00:08:13: Christina: Coole Entstehungsgeschichte.
00:08:14: Applaus, Applaus. [Soundbite: großer Applaus]
00:08:17: Pia: Dankeschön.
00:08:19: Dankeschön.
00:08:21: Christina: Sehr interessant. Pia: Und jetzt ist die Christina dran und ich muss jetzt schon mal vorschicken, also natürlich
00:08:30: jetzt nicht für die nächste Geschichte wählen, gell Leute, also es müsste auch ein bisschen
00:08:34: auf meiner Seite stehen, Dankeschön. [Soundbite: Booh]
00:08:36: Und mit diesen, mit diesen aufwundernden Worten ... [lacht]
00:08:42: Christina: Ich möchte noch sagen, dass in der Postproduktion letztes Mal deine Geschichte als einzige Geschichte
00:08:49: Soundeffekte hatte.
00:08:50: Pia: Oh ja. Also das muss jetzt auch positiv loben, die Christina hat sich das sehr ins Zeug gelegt. [Soundbite: vereinzeltes Klatschen]
00:08:54: Christina: Hast du dir die angehört?
00:08:56: Pia: Ja habe ich ja.
00:08:57: Also super Effekte.
00:08:58: Christina: Wie waren die Effekte?
00:08:59: Genial.
00:09:00: Danke.
00:09:01: Hat wunderbar gepasst. [beide lachen]
00:09:02: Christina: Da bin ich echt über mich hinausgewachsen.
00:09:07: Pia: Ja wirklich.
00:09:08: Christina: Okay, ich bringe mit die Entstehungsgeschichte von den Gedichten, also eigentlich ist es
00:09:15: ein Oevre von der englischsprachigen Dichterin Elizabeth Barrett Browning und falls ihr jetzt
00:09:26: denkt, wer ist das? Genau.
00:09:28: Das ist der Punkt dieser ganzen Geschichte.
00:09:30: Stellt euch Folgendes vor: Eine Frau, gefeiert, verehrt, aber eingesperrt.
00:09:38: Elizabeth Barrett Browning ist 1806 geboren und war eine der bekanntesten Dichterinnen
00:09:47: des viktorianischen Zeitalters.
00:09:49: Ihre Gedichte sprechen von Liebe, Schmerz und der Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Also dein
00:09:58: üblicher Taylor-Swift-Song. [Pia lacht leise]
00:10:00: Ihr Alltag spielt sich in einem abgedunkelten Londoner Zimmer ab. Sie ist krank, kontrolliert
00:10:09: vom Vater und abgeschnitten von der Welt, wie es leider und sicherlich sehr, sehr vielen
00:10:15: Frauen in dieser Zeit gegangen ist.
00:10:18: Sie war zwar körperlich geschwächt, aber ihr Geist, ihr Denken und ihre Stimme waren
00:10:25: ungebrochen.
00:10:26: Eines Tages erhält sie dann einen Brief, und zwar von dem jungen Dichter Robert [betont] Browning. Ooooh. [Pia lacht]
00:10:33: Und falls ihr jetzt denkt, hm, dieser Nachname ist ja der gleiche Nachname, den die Elizabeth
00:10:39: Barrett hat, richtig, es ist dahin läuft die Geschichte.
00:10:44: Dieser Brief war ein Fan-Brief, der war voller Bewunderung und, vielleicht, Liebe ... Fragezeichen.
00:10:52: Er schreibt ihr: "Ich liebe Ihre Ferse von ganzem Herzen, liebe Miss Barrett."
00:10:58: Was dann folgt, ist mehr als nur ein literarischer Austausch. [Christina: Wohoo!, beide lachen]
00:11:02: Pia: Und da jetzt auch den Soundeffekt reinhauen ... Christina: Wenn ich ihn finde. [Soundbite: Pfeifen]
00:11:10: Zwischen den beiden beginnt ein Dialog, wie es ihn nur selten gegeben hat bzw. der reiht sich in die großen Liebesbriefe aller
00:11:17: Zeiten ein. Es ist leidenschaftlich, intellektuell und voller Achtung. Über 570 Briefe schreiben
00:11:25: sie füreinander. Und das Beste, diese Briefe wurden digitalisiert. Das heißt, die kann man auch
00:11:31: heute noch nachlesen und zwar alle davon. Es ist schon ziemlich cool, man kann also richtig die
00:11:37: die ganze Beziehung nachverfolgen, wie sie so sich ergegeben hat. Die Elizabeth und der Robert,
00:11:45: die heiraten dann heimlich. Und zwar gegen den Willen der Familie, sehr Romeo und Julia. Auch
00:11:51: ein bisschen gegen die Konvention, weil eigentlich gibt es ja Absprachen und das Liebesheiraten
00:11:57: sind die viktorianischen Zeitalter meines Wissens nach noch komplett unüblich. Richtig, Pia?
00:12:01: Pia: Da wird eher "eloped". Da haut man dann ab und heiratet. - Christina: Genau, so wie in Jane Austen. - Pia: Genau.
00:12:11: Christina: Und das ist aber immer schlecht. - Pia: Also finanziell zumindest oft schlecht auch. - Christina: Ja, genau. Deswegen ist
00:12:16: es sehr unkonventionell, was die beiden da gemacht haben. Sie fliehen nach Italien, wie viele große
00:12:21: Dichter und Dichterinnen dieser Zeit und damit auch in ein neues Leben. Und diese Geschichte
00:12:28: wirkt ja schon wie der Beginn eines großen Romans, finde ich. In Italien schreibt Elizabeth dann ihr
00:12:33: berühmtestes Werk und das wäre nämlich "Sonnets from the Portuguese". Das ist ein Zyklus von
00:12:40: 44 Liebessonnetten, die bis heute zu den Bewegensten der Weltliteratur zählen. Berühmt ist vor allen
00:12:49: Dingen und davon hast du mir erzählt, Pia, das Sonnet 43, dass ich bis dahin nämlich auch nicht
00:12:55: gekannt habe. Ich darf zitieren: "How do I love thee? Let me count the ways I love thee to the depth
00:13:03: and breath and height my soul can reach." Habe ich alle "th" hingekriegt? - Pia:Ja. [beide lachen] Christina: Das Gedicht geht
00:13:12: weiter und endet dann mit einem Vers, der über den Tod hinaus reicht: "And if God choose I shall
00:13:18: but love thee better after death." Elizabeth starb 1861 in den Armen ihres Ehemannes,
00:13:26: während der Jahre ihrer Ehe übertraf ihr literarischer Ruf den ihres Dichter Ehemanns
00:13:33: auch bei weitem. Als sie Anfang 30 war, wurde sie bereits viel gelesen und rezensiert. Ab Mitte
00:13:43: 40 war sie sogar international bekannt. Sie war zum Beispiel einer der ersten weiblichen Nominierten
00:13:49: für Großbritanniens Poet Laureate, eine große Ehre für jeden Literaturschaffenden. Aber nominiert
00:13:57: ist nicht gewonnen und es sollte dann noch 159 Jahre dauern, bis die erste Frau wirklich Poet Laureate,
00:14:03: Großbritanniens geworden ist das erste Mal. Eine totale Vorreiterin. [Pia: Ja.] Sie hat sich auch
00:14:10: eine sehr engagierten Schriftstellerin entwickelt, die durch ihre Werke das britische Bewusstsein für
00:14:16: soziale Themen wie Kinderarbeit, Vergewaltigung und die amerikanische Abschaffung der Sklaverei
00:14:22: veränderte. Zu den Schriftsteller*innen, die sie beeinflusste, gehörten Emily Dickinson,
00:14:28: Thomas Carlisle, Christina Rossetti, Rudyard Kipling, Oscar Wilde und Virginia Woolf. Aber es ist
00:14:36: leider bittere Ironie, dass Elizabeth Barrett Browning später fast vergessen worden ist. Mit
00:14:42: 40 Jahren hat Elizabeth den jüngeren und weniger etablierten Dichter Robert dann geheiratet,
00:14:47: also wo sie zusammen abgehauen sind. Sie war dann schon 40. Nach und nach stellte dessen Ruf ihren
00:14:53: eigenen aber bald in den Schatten und dann etwa 70 Jahre nach ihrem Tod, wurde ihr Werk weitgehend
00:14:59: aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt, trotz ihres großen Erfolges davor. Der Broadway-Erfolg
00:15:06: "The Barretts of Wimpole Street" von 1931 und dessen Film- und Fernsehadaption prägten das Bild der
00:15:12: romantisch verliebten Dichterin, also so quasi "die Frau an seiner Seite". - Pia: Genau, ja. - Christina: [stöhnt genervt] I hate how this goes. [beide lachen] Unter
00:15:22: anderem durch dieses Bild von Barrett Browning, schrieben 1973 die Kritikerredakteure der Oxford
00:15:28: Anthology auf Englisch Literature -übrigens allesamt Männer - [Pia: Natürlich] - und ich zitiere: [sarkastisch] "Ms. Barrett war
00:15:35: mit dem besten Dichter ihrer Zeit durchgebrannt. Ihr langes Gedicht 'Aurora Leigh'" - das ist übrigens
00:15:42: 1856 erschienen und im Gegensatz zu dem, was dieser Kritikerschnösel da sagt, extrem empfehlenswert, -
00:15:49: "wurde zwar sogar von Ruskin bewundert, ist aber sehr schlecht. Auch die berühmten 'Sonnets from the
00:16:00: Portuguese' sind ziemlich schlecht. Mrs. Brownings Begeisterungen bereiten ihrem Mann viel Ärger."
00:16:08: Zitat Ende. Pia: Frechheit. - Christina: Ein, möchte man sagen, harsches Urteil. Ich meine, Geschmack ist
00:16:16: subjektiv. Aber ein klares Beispiel dafür, dass die von Frauen verfasste Literatur sehr oft und auch
00:16:23: auf sehr subjektive Weise klein gemacht worden ist. Elisabeth rückte dann leider immer mehr
00:16:32: in den Hintergrund und wurde dann immer nur noch als Randfigur im Erfolg ihres Mannes wahrgenommen,
00:16:39: der, by the way, mir aber auch nichts gesagt hat. [beide lachen] - Pia: Gerechtigkeit, zumindest da. - Christina: Aber ihre
00:16:49: Geschichte, zum Glück, endet hier nicht. Denn durch die feministische Literaturwissenschaft der
00:16:54: 1960er und 70er wurde sie wiederentdeckt und ihr literarische Schaffen neu bewertet. Und dieser
00:17:01: Bewegung haben wir es auch zu verdanken, dass jetzt auch wieder eine neue Strömung von Literatur von
00:17:07: Frauen verlegt wird, wiederentdeckt und verlegt wird. Und wir wissen heute, Elisabeth war sicherlich
00:17:14: nie nur die Frau von Robert Browning. Er war ihr Fan, also ist eine große Dichterin und das war
00:17:22: meine Geschichte. Ich finde ... Also mich regt die Geschichte mehr auf als alles andere. Ich weiß
00:17:28: nicht, wie es euch geht, aber das ist für mich so eine Entstehungsgeschichte, die ja fast schon irgendwie
00:17:33: so als ob so ein Deckel drauf gemacht wird über diese Stimmen. - Pia: Ich kann es nachvollziehen. Es ist vor allem
00:17:42: frustrierend, weil sie damals eigentlich so im Vordergrund stand und so bekannt war und so
00:17:47: berühmt und so viel Anerkennung genossen hat und dann immer wieder, also mit der Zeit immer wieder
00:17:53: verloren gegangen ist, dieses Wissen. Und man sich im Grunde auch ein bisschen so über sie
00:17:58: lächerlich gemacht hat, über diese "armonisierte Dichterin, die ja eh nur Liebesgedichte schreibt".
00:18:04: Es ist dann ja gut, dass man eben in den 60er und 70er Jahren nachher dann ein bisschen
00:18:07: Gegenbewegung entstanden ist und auch diese Texte wieder in den Vordergrund gerückt sind.
00:18:12: Christina: Absolut. Wobei, man muss auch dazu sagen, dass es auch äußerst mühsam ist, dass jede Generation von Frauen,
00:18:18: die weibliche Literatur neu entdecken muss. Das passiert ja immer wieder. Ich habe zwar gesagt,
00:18:26: die haben den Weg bereitet, aber gleichzeitig entdecken wir jetzt auch wieder Literatur von Frauen,
00:18:32: die in den 60er und 70er Jahren wieder entdeckt worden ist, die es aber nie in den Kanon schafft.
00:18:36: Und das ist so... [Pia: Frustrierend.] Ja, man arbeitet, wie Sysyphos sich den Berg hoch und wird dann halt immer
00:18:44: wieder von ... zurück gedrückt. - Pia: Aber das ist ja auch gut: Wir haben ja auch eine Klassikabteilung und da
00:18:50: haben wir jetzt auch wieder neuere ... äh, ältere Texte, aber neu aufgelegt und das sind die Klassikerinnen,
00:18:57: wie wir sie immer nennen. Also das ist auch super. Und da ist auch viel ... - Christina:Das hat in der anglophonen Welt
00:19:03: angefangen, dass da wieder viel neu verlegt wird und es geht jetzt richtig auch in der
00:19:08: deutschsprachigen Verlagslandschaft ... Haymon, der in Innsbruck ansässige Verlag hat
00:19:15: jetzt auch, ich glaube, Haymon Herstory, das ist auch in Bezug auf diesen Begriff "history"
00:19:24: als "his story", "seine Geschichte" und "her story", also im Sinne von wer macht die Geschichtsschreibung,
00:19:29: wer beschließt, was kanonisiert wird und so weiter. Und die bringen jetzt eben... Die haben
00:19:35: dieses Jahr auch einen ersten Text wieder neu aufgelegt und das ist einfach toll, auch wenn es
00:19:40: so ein ansässiger Verlag sich da diesen Raum nimmt und es macht. Zum Glück. - Pia: Zum Glück, ja. Aber es
00:19:48: waren zwei tolle Geschichten, sehr interessant, etwas Älteres und etwas Neueres. - Christina: Ja, sehr aktuell
00:19:54: deines, gell? Mit der Alfafa. - Pia: Elphaba [Pia lacht] - Christina: Elphaba. Und der Glenda. - Pia: Glinda. - Christina: Wenn wir alle Bücher lesen
00:20:05: oder alle Werke über die wir gegenseitig reden, dann wissen wir viel mehr danach, weil ich habe
00:20:11: das nie gelesen. "Zauberer von Oz" schon, also den ersten Band, aber jetzt nicht die neue... - Pia: Aber ich
00:20:18: glaube, dass die Romanenvorlage sehr wenige gelesen haben. Ich glaube, die meisten kennen es
00:20:22: wirklich übers Musical und die wenigsten wissen überhaupt, dass es eine Romanenvorlage gibt.
00:20:25: Christina: Ist sehr jetzt dann neu herausgekommen, weil eben Ariana Grande mitgespielt hat in diesem großen
00:20:31: Film. - Pia: Ja. Wir hoffen, dass euch unsere Geschichten gefallen haben. Natürlich hoffe, dass meine
00:20:38: euch ein bisschen mehr gefallen hat, aber das schauen wir dann noch. [lacht] Diesbezüglich könnt
00:20:43: ihr natürlich gerne abstimmen online, wieder auf Instagram auf stadtbibliothek.innsbruck. Aber
00:20:49: natürlich möchten wir auch gerne eure Empfehlungen hören. Vielleicht habt ihr eine tolle Entstehungsgeschichte
00:20:53: für uns. Die könnt ihr uns natürlich auch schicken auf post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at und wir hören
00:21:00: uns dann wieder beim nächsten Mal. - Christina: Und erfahren, für wen ihr abgestimmt habt. Bis dahin, schönes Lesen. Pia: Tschüss! [Outro-Musik]
00:21:31: [Pia spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck und Teil der Stadtstimmen, dem
00:21:38: Audiokanal der Stadt Innsbruck. Outtakes: Christina: [bemüht] "If God chose, and if God chose, I shall, I shall, I shall, and if God
00:21:56: chose, I shall, but love thee better than death."
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