Literarische Entstehungsgeschichten: Stephen King vs. John Polidori

Shownotes

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Pia und Christina haben wieder eure Lieblingsrubrik mitgebracht: Die Literarischen Entstehungsgeschichten. In der heutigen Folge überraschen sich die beiden wieder mit einer jeweils vorbereiteten Entstehungsgeschichte eines Romans. Der Clou: Die beiden wissen nicht, welche Geschichte die andere vorbereitet hat.

Diesmal geht es zum einen an Stephen Kings bescheidenen Schreibtisch in einem Wohnwagen in Maine, in dem er den Weltbestseller „Carrie“ verfasst hat. Zum anderen verpasst Pia dem Vampirmythos einen dringend erforderlichen Faktencheck! Schon mal was von John Polidori gehört? Nein? Der hat nämlich sie allerallererste Vampirgeschichte zu Papier gebracht. Taucht ein hinter die Kulissen großer Literatur.

Ihr könnt abstimmen, welche Geschichte euch besser gefallen hat. Oder vielleicht interessiert ihr euch für eine Entstehungsgeschichte, und Christina oder Pia sollen sie vortragen: Schreibt uns auf Instagram (stadtbibliothek.innsbruck) oder post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at.

Gibt’s auch in der Stadtbibliothek: „Carrie“ von Stephen King: https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/95397 (englische Version)

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00:00:00: [moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchen führen. [moduliert]

00:00:07: [Intro-Musik] Christina: Hallo und herzlich willkommen zurück zum Vorwort, dem Podcast der Stadtbibliothek Innsbruck.

00:00:27: Mein Name ist Christina -

00:00:29: Pia: Und ich bin die Pia -

00:00:30: Christina: Und heute sind wir wieder zurück mit den literarischen Entstehungsgeschichten,

00:00:34: dem Format, wo Pia und ich uns gegenseitig eine spannende Entstehungsgeschichte zu einem Roman

00:00:40: oder Oeuvre erzählen über einen Autor oder eine Autorin.

00:00:43: Und ihr könnt am Ende abstimmen, welche der Geschichten euch besser gefällt.

00:00:48: Pia, warum schaust du auf die Uhr während ich rede? [beide lachen]

00:00:51: Pia: [lachend] Hey, das hätte jetzt keiner gemerkt.

00:00:55: Sorry, ich wollte schauen, wie spät es ist.

00:00:57: Christina: Es ist nämlich Freitag um vier Uhr.

00:01:00: Pia: Man merkt's. [beide lachen]

00:01:02: Aber wir werden es überleben.

00:01:05: Willkommen auch von mir.

00:01:07: Und ich darf verkünden, wer gewonnen hat bei der letzten Entstehungsgeschichte.

00:01:12: Achtung Trommelwirbel, die Christina hat gewonnen.

00:01:15: Wieder mal. [Christina: Yay!]

00:01:17: Chrisitna:Ich möchte mich bedanken bei allen, die auf Instagram unter stadtbibliothek.innsbruck abgestimmt haben.

00:01:24: Da hat nämlich die ... findet die Abstimmung immer statt nach Ausstrahlung unserer Folge.

00:01:30: Ist das dann immer für - ich glaub - 12 oder 24 Stunden möglich.

00:01:34: Ich habe hier die genauen Zahlen:

00:01:36: Nämlich Bram Stoker hat 75 Prozent der Stimmen erlangt.

00:01:42: Und JM Barrie, die Entstehungsgeschichte von Pia, 25 Prozent.

00:01:47: Pia: Frechheit, eine Frechheit.

00:01:49: Ich glaub ja, dass du da irgendwas machst. [lacht]

00:01:51: Christina: Was soll ich da machen?

00:01:53: Ich hab nicht einmal einen Instagram-Account.

00:01:55: Pia: [lacht] Ja ja, schauen wir mal ...

00:01:57: Christina: Das ist, weil ich es so

00:01:59: dramaturgisch aufgebaut habe.

00:02:02: Du hast mich noch ausgelacht.

00:02:04: Aber euch, liebe Zuhörerinnen und Zuhörern, hat es gefallen.

00:02:07: Das dachte ich mir schon.

00:02:09: Wer fängt denn an?

00:02:11: Pia: Damit darfst du anfangen.

00:02:14: Christina. Jetzt fühl ich mich in der Bringschuld, das wieder so spannend zu machen.

00:02:18: Ich weiß nicht, ob ich dem gerecht werden kann.

00:02:21: Meine Entstehungsgeschichte, die ich heute mitgebracht habe,

00:02:24: handelt von dem Roman "Carrie" von Stephen King.

00:02:28: Damit wir uns auskennen, habe ich gedacht,

00:02:31: bringe ich einmal zur Abwechslung eine kurze Inhaltsangabe für "Carrie"mit.

00:02:35: Für alle, die es noch nicht gelesen haben.

00:02:38: Oder die, die es schon lange nicht mehr gelesen haben.

00:02:41: Aber "Carrie" ist natürlich ein sehr ikonischer Stoff.

00:02:44: Es ist erstveröffentlicht am 5. April 1974 in den USA.

00:02:48: Ein Horror-Roman, aber auch so ein bisschen eine Coming-of-Age-Geschichte,

00:02:53: die man in deren Ausgang niemanden wünschen kann.

00:02:57: Die deutsche Erstausgabe ist 1977 erschienen im Wilhelm-Heyne-Verlag.

00:03:04: "Carrie" erzählt die Geschichte von der 16-jährigen Carrie White,

00:03:07: die in einer amerikanischen Kleinstadt aufwächst.

00:03:10: Schüchtern, sozial isoliert und unter der Kontrolle ihrer streng religiösen Mutter.

00:03:15: Nach Jahren des Mobbings entdeckt sie, dass sie telekinetische Kräfte besitzt.

00:03:20: Als sie beim Abschlussball öffentlich gedemütigt wird,

00:03:24: setzt sie ihre Kräfte ein mit katastrophalen Folgen.

00:03:28: Wir kennen alle die ikonische Szene mit dem Schweineblut.

00:03:31: Pia: Die kennen sogar ich und ich habe den Film nie gesehen, [lacht] aber die Szene kenn ich.

00:03:36: Christina: Würdest du dir den anschauen, den Film oder den Roman lesen?

00:03:43: Pia: Eher den Roman lesen, ich bin bei Horrorfilmen sehr schlecht, muss ich sagen.

00:03:47: Christina:Weil der Roman ist, ich glaube, heute, also es ist ein Horror-Roman,

00:03:51: der aber auch sehr viele psychologische Elemente enthält

00:03:55: und auch eine Portion Gesellschaftskritik, dieses typische Highschool-Mobbing-Ding.

00:04:02: Und es war Kings erster veröffentlichter Roman und sein literarischer Durchbruch.

00:04:08: Aber wie ist es dazugekommen?

00:04:11: Stephen King war ein zurückhaltender, eher schüchterner Junge.

00:04:15: Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf, in einem Haushalt ohne Vater.

00:04:20: Der hatte die Familie verlassen, als King noch klein war.

00:04:23: Seine Mutter schlug sich mit mehreren Jobs durch, das Geld war knapp.

00:04:28: Aber Bücher gab es im Haushalt immer.

00:04:31: King entdeckte früh seine Leidenschaft fürs Schreiben,

00:04:34: zuerst Kurzgeschichten, dann kleine Heftromane, die er an seine Mitschüler*innen verkaufte.

00:04:39: Jede Geschichte, die er an eine Zeitschrift schickte, kam zurück.

00:04:44: Die Absagebriefe warf er aber nicht weg.

00:04:47: Ganz im Gegenteil:In seinem Zimmer hämmerte er berühmterweise einen dicken Nagel an die Wand,

00:04:53: an dem er jede einzelne Ablehnung aufhing.

00:04:56: Mit der Zeit bog sich der Nagel unter dem Gewicht.

00:05:00: Später sagte er, dass er auf einen Bolzen hätte umsteigen müssen, [Pia lacht leise] weil es viele Ablehnungen kam.

00:05:06: 1973 ist King 25 Jahre alt.

00:05:10: Er lebt mit seiner Frau Tabitha in einem kleinen Wohnwagen in Hermon , Maine.

00:05:16: Zwei kleine Kinder und wenig Geld.

00:05:18: Er unterrichtet Englisch an der High School und jobbt nebenbei in einer Wäscherei.

00:05:24: Der Ort, an dem er schreibt, ist ein beengter Wandschrank.

00:05:28: Darin steht ein schlichter Stuhl, auf den er ein Brett gelegt hat: seine Schreibunterlage.

00:05:34: Die Schreibmaschine ist alt, sein Ziel: Irgendwann genug zu verdienen, um allein vom Schreiben zu leben.

00:05:41: Eines Abends kommt ihm eine Idee.

00:05:44: Ein Mädchen mit übernatürlichen Kräften.

00:05:47: Außenseiterin, unsicher, religiös-fanatisch erzogen.

00:05:52: Und dann ein grausames Ereignis, das alles verändert.

00:05:56: Aber King kommt nicht recht voran in den Buch.

00:05:59: Die Perspektive des Mädchens irritiert ihn, das Thema fühlt sich für ihn sehr fremd an.

00:06:04: Er schreibt drei Seiten, dann reißt er sie ab von der Schreibmaschine erknüllt sie und wirft sie in den Papierkorb.

00:06:10: Am nächsten Tag findet Tabitha das erknüllte Manuskript im Papierkorb.

00:06:15: Und sie liest es und ist sofort wie elektrisiert.

00:06:19: Sie ist diejenige, die das Potenzial der Geschichte erkennt.

00:06:22: Statt Kritik bringt sie Hilfe.

00:06:25: Bücher über Frauenrollen zum einen,

00:06:27: Gespräche auch über ihre eigenen Erfahrungen als Schülerin.

00:06:31: Sie ermutigt ihn, weiterzuschreiben.

00:06:34: Nicht zuletzt, weil sie spürt, dass in dem Buch etwas steckt,

00:06:37: dass sich von seinen bisherigen Versuchen unterscheidet.

00:06:40: King nimmt den Faden wieder auf.

00:06:43: Er schreibt "Carrie" in wenigen Wochen fertig.

00:06:46: Als der Roman dann abgeschlossen ist, schickt er das Manuskript an verschiedene Verlage.

00:06:50: Und wieder hagelt es Absagen.

00:06:53: Mehr als 30 Absagen [Pia: Oje.] kriegt er für "Carrie".

00:06:56: Aber er bleibt immer weiter dran.

00:06:59: Und dann endlich sagt Double Day, zeigt Interesse und sagt zu.

00:07:04: Und der Vorschuss beträgt 2.500 Dollar.

00:07:08: Das ist auch damals nicht super viel, aber mehr als bei jedem anderen Text zuvor.

00:07:14: King ist erleichtert, aber erst einmal nicht besonders euphorisch.

00:07:19: Die große Wende kommt dann Monate später, als sich ein Taschenbuchverlag

00:07:24: die Rechte an "Carrie" sichert für 400.000 Dollar.

00:07:28: Pia: Nicht schlecht.

00:07:30: Christina: Ja. Und das ist eine unfassbare Summe für den 25-jährigen Autor,

00:07:34: der in diesem kleinen, im Grunde Trailerpark wohnt.

00:07:38: Pia: Da haben sich die Absagen dann doch rentiert.

00:07:41: Christina:King erfährt die Nachricht telefonisch, als er gerade in der Schule ist beim Arbeiten.

00:07:45: Als er auflegt, ist er ganz blass, wie er erzählt und fühlt sich ganz benommen.

00:07:49: Er fährt nach Hause, findet Tabitha in der Küche und sagt nur:

00:07:53: "Wir sind raus." [Pia lacht kurz]

00:07:55: Und meint damit, dass raus aus dem Wohnwagen, aus dem Geldmangel, aus diesem Leben.

00:08:00: Und für sie beide beginnt damit auch ein neues Leben.

00:08:03: Der Erfolg, das weiß man glaub ich auch von Stephen King, hat aber auch Schattenseiten. Bei ihm kommen

00:08:09: mit dem Geld, Alkohol, Tabletten und exzessives Schreiben.

00:08:13: Stichwort "The Shining", was er teilweise auch sehr autobiografisch verarbeitet.

00:08:20: Und Jahre später wird King über diese Zeit dann offen reden.

00:08:24: Deswegen weiß man auch davon über seine Sucht, seine Ängste und diesen Kontrollverlust, den er nach "Carrie" erlebt hat.

00:08:31: Aber eben auch über die Rolle, die seine Frau gespielt hat,

00:08:35: einmal, als sie "Carrie" ... ihn ermutigt hat "Carrie" weiterzuschreiben,

00:08:39: als auch später, als er dann fast alles verloren hätte an seine Sucht.

00:08:44: Dieser Durchbruch begann also, das ist einer der größten Genre-Autoren der heutigen Zeit.

00:08:50: Jeder hat mindestens von Stephen King gehört.

00:08:53: Seine Romane werden in alle möglichen Sprachen der Welt übersetzt.

00:08:57: Aber es hat angefangen damit, und das finde ich total cool,

00:09:01: dass seine Frau in diesem Wohnwagen das Papier wieder aus dem Papierkorb zogen hat

00:09:07: und ihn ermutigt hat und ihn dann von sich und ihrer eigenen Perspektive erzählt hat,

00:09:14: wodurch sie ihm ermöglicht hat, "Carrie" zu schreiben.

00:09:18: Genau, und das ist die Entstehungsgeschichte zu "Carrie" von Stephen King.

00:09:24: Pia: Richtig cool, habe ich nicht gewusst.

00:09:26: Ich habe von King ja nie was gelesen, deswegen sehr interessant für mich.

00:09:29: Und ich finde es auch lustig, dass er gerade das dann eigentlich wegschmeißen hat wollen,

00:09:33: obwohl er schon so viele Absagen bekommen hat, und das war genau dann das, was funktioniert hat.

00:09:37: Christina:Hast du das echt nicht gekannt?

00:09:38: Pia:Nein, überhaupt nicht.

00:09:39: Christina:Für mich war das so profan, jeder kennt die Carrie-Geschichte. [lacht]

00:09:42: Pia: [lacht] Nein, ich nicht.

00:09:44: Christina: Ja, super.

00:09:45: Okay, Pia, was hast du mitgebracht für uns?

00:09:48: Weil ich weiß ja nicht, ich bin echt gespannt.

00:09:51: Pia: Also, heute gibt es einen Faktencheck.

00:09:54: Christina: Okay.

00:09:55: Weil du hast bei der [Christina atmet erschrocken ein] letzten Entstehungsgeschichte behauptet,

00:09:59: dass Bram Stoker das Fundament für den modernen Vampir geschaffen hat.

00:10:03: Und dir widersprech ich heute.

00:10:05: Christina: Ohhhh, spannend.

00:10:07: Pia:Der moderne Vampir ist nämlich nicht 1897, das ist wo "Dracula" entstanden ist,

00:10:13: sondern bereits 80 Jahre zuvor entstanden.

00:10:17: Es war eine düstere und stürmische Nacht im Jahr 1816.

00:10:21: Am Genfersee in der prächtigen, aber abgeschiedenen Villa Diodati

00:10:25: versammelten sich einige der brilliantesten

00:10:27: und skandalösesten Geister ihrer Zeit. - Christina: Geister? - Pia: Ja. [zögert] Nein, nicht Geister Geister, aber ... - Christina: Sagt man das so? - Pia: Ja.

00:10:37: Christina: Okay, "Geister ihrer Zeit". - Pia: Die Natur selbst schien sich gegen sie verschworen zu haben. Ein Vulkanausbruch

00:10:44: in Indonesien hatte den Himmel über Europa verdunkelt. Die Tage waren grau, die Nächte

00:10:50: unnatürlich kalt. In der Villa umgeben von Regen und Blitzgewitter, saßen Lord Byron, Percy

00:10:58: Bysshe Shelley, Mary Shelley, Claire Clairmont, das ist Marys Stiefschwester und ein junger Mann,

00:11:04: den die Geschichte fast vergessen hätte. - Christina: [zieht scharf die Luft ein, aufgeregt] Oh mein Gott, das ist so spannend. Ich kenne die

00:11:11: Mary Shelley-Frankenstein-Entstehungsgeschichte, aber nicht das, was jetzt kommt. Okay, ich bin

00:11:16: ganz aufgeregt. - Pia:Und das war John William Polidori. - Christina: Wer? - Pia: Genau. [beide lachen] Polidori war Arzt, ein

00:11:24: ehrgeiziger, aber oft unterschätzter Mann, der als Leibarzt des berühmten Lord Byron diente.

00:11:30: Klug, belesen, aber gefangen im Schatten seines charismatischen Arbeitgebers. - Christina: Obviously. - Pia: Ja,

00:11:37: doch in dieser Nacht, jetzt hätte ich gerne bitte so Soundeffekte [Soundeffekt: Donnerschlag] [beide lachen, Christina: düdüdümm!] sollte er etwas erschaffen,

00:11:49: dass ihn für immer unsterblich machen würde. In jener Nacht [Soundeffekt: Donnerschlag] [Pia lacht, Christina wieder: düdüdümm!]

00:11:53: schlug Byron vor, dass jede, jeder eine eigene Schauergeschichte schreiben sollte.

00:12:05: Byron selbst begann einen Fragment über einen geheimnisvollen Vampir. Doch er ließ es

00:12:11: unvollendet. - Christina: Ohhh, aber darf ich eine Zwischenfrage stellen, wie ist er auf den Vampir kommen? Weiß man das?

00:12:19: Pia: Das weiß man nicht. Es war einfach nur so, okay, schreiben wir mal alle. Und er hat, also Vampire waren

00:12:25: vorher ja auch schon in Volksmärchen vorhanden. Und eben er hat dann Anfang mit diesem Fragment,

00:12:31: hat es eben begonnen. Über diesen geheimnisvollen Vampir, hat es aber unverlendet lassen. Und

00:12:37: Polidori hat dann dieses Fragment genommen als Inspiration und es weiterentwickelt.

00:12:42: Während Mary Shelley also an einer Idee arbeitete, die später zu Frankenstein werden sollte,

00:12:48: begann Polidori eine Geschichte, die ihn selbst überdauern würde: "The Vamprye", mit "y" geschrieben

00:12:54: in dem Fall. Die Atmosphäre in der Villa war übrigens nicht nur von Sturm und Dunkelheit

00:12:59: geprägt. Die Gruppe hat auch Laudanum, ein Opiumpräparat, das in jener Zeit als Schmerzmittel

00:13:05: und Rauschmittel verbreitet war, konsumiert. Ihre Gespräche wurden fieberhaft. Die Vorstellung

00:13:10: Bilder. In dieser Mischung aus Melancholie, Exzess und kreativer Euphorie entstand eine neue Art

00:13:16: des Grauens. [Chrisitna: Uhhhhhh ...] So, und jetzt hätte ich jetzt gerne, [lacht] da hätte ich jetzt bitte gerne so ein fieses Gelächter

00:13:22: oder so. - Christina: Wenn ich das letztes Mal keine Geräusche hatte, um meiner Geschichte zu helfen,

00:13:28: wirst du auch diesmal ohne Auskommen müssen. [beide lachen] - Pia: Frechheit. [Soundbite: fieses Gelächter]

00:13:31: Polidoris Vampir war anders als die unheimlichen, aber oft animalischen Kreaturen der alten Volksmärchern.

00:13:44: Er war ein aristokratischer Verführer. Blass, charismatisch, ein Wesen, das in feinen Gesellschaften

00:13:51: verkehrte und dennoch tödlich war. Dieser Vampir wirkte in vielerlei Hinsicht wie

00:13:55: einee literarische Version von Byron selbst. - Christina: [ungläublig] Von Byron? - Pia: [zustimmend] Mh-hm. - Christina: Hat er was übrig gehabt, der Arzt

00:14:01: für Byron? - Pia:Das sind die Gerüchte. - Christina: Aha. Schau, wie ich das genau schon erörter hab ...

00:14:07: Pia: Das hast du den Subtext sofort erkannt. [beide lachen] - Christina: Ah, schön.

00:14:10: Pia: Doch wer war dieser Lord Byron, der als Vorlage für den ersten literarischen Vampir galt?

00:14:15: Christina:  [ungläublich] Lord Byron war die Vorlage für den ersten literarischen Vampir?! - Pia: Angeblich.

00:14:20: Christina: Ja, also mein Kopf explodiert, das ist so cool. - Pia: Lord Byron war nicht nur ein gefeierter Dichter,

00:14:27: sondern auch einer der umstrittensten Persönlichkeiten seiner Zeit. Er galt als exzentrisch, unverschämt

00:14:33: und unwiderstehlich. Seine Affären sorgten für Empörung, er hatte zahllose Liebschaften

00:14:39: mit verheirateten Frauen, jungen Männern und angeblich sogar mit seiner eigenen Halbschwester

00:14:44: Augusta Leigh. Die Gerüchte um diese Beziehung erschütterten die britische Gesellschaft. Eine

00:14:50: seiner Liebhaberinnen bezeichnete ihn als, Achtung, ich zitiere, "mad, bad and dangerous to know".

00:14:57: Christina:Oh mein Gott, okay. [Pia lacht] So kann man sich natürlich auch eine Image aufbauen.

00:15:02: Pia: Ja, ich hoffe, das ist auf seinem Grabstein drauf. - Christina: Der literarische Bad Boy.

00:15:06: Pia: Das ist genial. Byron lebte ausschweifend, sammelte Feinde und ließ sich von keiner Konvention

00:15:13: aufhalten. Schlussendlich wurde er zum gesellschaftlichen Außenseiter. 1816, das ist das Jahr, in dem

00:15:19: er an den Genfersee geflohen ist, war das Jahr, in dem er endgültig England verließ und

00:15:24: nach seiner skandalösen Trennung von seiner Frau und den immer lauter werdenden Vorwürfen

00:15:30: über seine Lebensweise und eventuell der Homosexualität, blieb ihm kaum eine andere Wahl. Er war also

00:15:36: ein Mann, der alles nahm, was ihm das Leben bot und sich damit selbst in Gefahr brachte.

00:15:40: Vielleicht erkannte Polidori genau das in ihm, einem Mann, der sich selbst als unverhaltsam

00:15:45: sah, dessen Anziehungskraft gleichzeitig eine Warnung war. Polidori hatte mit seiner Geschichte

00:15:50: aber nicht nur eine neue Art von Vampir geschaffen, er hatte den Grundstand für eine ganze Genre

00:15:55: gelegt. 1819, drei Jahre nach dem Sommer in der Villa,

00:16:00: erschien "The Vampyre" erst in einer Literaturzeitschrift, doch es gab ein Problem, die Geschichte

00:16:04: wurde fälchlicherweise Lord Byron zugeschrieben.

00:16:07: Christina: [schnalzt mit der Zunge] Der hat doch schon alles. - Pia: Genau, finde ich auch. Der Verleger Henry Colburn hat erkannt,

00:16:15: was das für ein kommerzielles Potenzial hat, wenn Byron eben sowas schreiben würde, gerade

00:16:22: auch durch die ganzen Skandale um ihn halten. Polidori war empört, sowohl er als auch Byron

00:16:27: haben sich bemüht, die wahre Autorenschaft klarzustellen, doch die Verwirrung hielt sich

00:16:32: hartnäckig. Viele glaubten noch lange, dass Byron der Verfasser sei, zum Beispiel nannte

00:16:37: niemand geringerer als Johann Wolfgang von Goethe die Erzählung Byrons bestes Produkt.

00:16:41: Christina: [bedauernd] Ah, ja, da ist er Fake News aufgesessen, der Johann Wolfgang von.

00:16:47: Pia: Polidori selbst hat wenig von dem literarischen Erfolg gehabt, er hat mit finanziellen Schwierigkeiten

00:16:54: und Depressionen gekämpft. 1821 verstarb er mit nur 25 Jahren.

00:16:58: Christina: Oh Gott.

00:16:59: Pia: Die Umstände seines Todes sind nicht geklärt, im offiziellen Bericht heißt es, er sei an

00:17:04: natürlichen Ursachen gestorben, es wird aber vermutet, dass er Suizid begangen hat.

00:17:09: Polidori mag früh gestorben sein, seine Geschichte aber überlebte. "The Vampyre" legt den Grundstein

00:17:15: für spätere Vampirgeschichten von Bram Stokers "Dracula" bis zu den modernen Vampirgeschichten

00:17:20: unserer Zeit, da kommen jetzt wieder deine glitzenden Vampire von vor ...

00:17:24: Christina: [empört] "Meine" glitzenden Vampire, ich habe mit denen genau gar nichts zu tun. [Pia lacht]

00:17:27: Pia: Du warst letzte Mal so begeistert davon. [lacht] Was als harmlose Schreibspiel an einem verregneten

00:17:32: Sommerabend begann, veränderte die Literatur für immer.

00:17:35: Während Mary Shelleys Frankenstein zur Ikone des Schauerromans wurde, war es Polidori,

00:17:40: der das Bild des eleganten, tödlichen Vampirs schuf, eine Figur, die bis heute überlebt.

00:17:45: Christina:Wow, also ich bin von den Socken. Danke, ich fühle mich gefactchecked.

00:17:52: [lacht] Erfolgreich.

00:17:53: Pia:Erfolgreich.

00:17:54: Na, aber ich find's schon interessant.

00:17:57: Ihr es auch nicht gewusst, mit dem Lord Byron, eben dass er da die Vorlage war.

00:18:01: Christina:Aber das hat man jetzt Lust gemacht, irgendwie so mehr über Love Byron und so zu lesen.

00:18:06: Das ist immer witzig, wenn so Bad Boys ...

00:18:09: Pia:Aber der Spruch ist doch genial, oder?

00:18:11: "Mad, bad and dangerous and dangerous to know." [lacht]

00:18:14: Christina:Ja, das ist Imagebildung, Mann. [beide lachen]

00:18:16: Pia:Ja, die haben das damals schon gewusst.

00:18:18: Christina:Ja, das ist der James Dean der viktorianischen Literaturlandschaft.

00:18:23: Pia: [schmunzelnd] Genau.

00:18:24: Christina: In dem Zusammenhang, wie gesagt, kenne ich immer nur die Entstehungsgeschichte von "Frankenstein".

00:18:31: Ich finde, dieses Vampirding muss so untergegangen sein.

00:18:36: Pia: Ich hab auch eben damals nur gewusst, dass Mary Shelley das in diesem Schreibwettbewerb,

00:18:39: sozusagen geschrieben hat, aber nie das eben damals auch die erste literarische

00:18:45: Vampirgeschichte rausgekommen ist.

00:18:46: Christina: Und da solltest du wirklich denken, dass man das mit erwähnen kann, also witzig, also

00:18:50: wirklich interessant.

00:18:51: Ja, ich glaub, woah, diesmal, da werde ich mich schwer tun, hast du wirklich nichts liegen

00:18:59: gelassen dramaturgisch heute.

00:19:00: Pia: Schauen wir mal, vielleicht, vielleicht macht ja wieder die Christina irgendwas mit ihren

00:19:04: Posts.

00:19:05: Christina:Das sind haltlose Unterstellungen, ja, die möchte ich im offiziellen Rahmen völlig

00:19:09: von mir weisen.

00:19:10: Pia: [lacht] Schauen wir mal.

00:19:11: Christina:Also ihr könnt natürlich wieder abstimmen für die Entstehungsgeschichte, die euch besser

00:19:17: gefallen hat, die ihr spannender gefunden habt oder informativer oder die ihr vielleicht

00:19:21: einfach noch nicht kanntet.

00:19:23: Macht das bitte auf Instagram, auf stadtbibliothek.innsbruck und wenn da die Abstimmung nicht mehr laufen

00:19:31: sollte, könnt ihr natürlich auch auf post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at uns eure Favoriten schreiben.

00:19:41: Wir werden nämlich alle Ergebnisse mit einbeziehen und ich weiß nicht, ist, wenn das jetzt so

00:19:45: weitergeht, am Jahresende müssen wir uns dann noch einmal was für den Verlierer überlegen.

00:19:50: Pia: Oh Gott, muss ich jetzt Angst haben ... [lacht]

00:19:52: Christina:Ja, oder was Schönes.

00:19:54: Pia:Das find ich fast besser.

00:19:56: Christina: Ja, dass die Verliererin muss der Gewinnerin einen Tee geben ...

00:20:03: Pia:Das glaube ich kann ich verschmerzen.

00:20:06: Christina: Oder ein Kuchen. [beide lachen]

00:20:08: Ja, danke fürs Zuhören.

00:20:10: Wir wünschen euch noch ein schönes Lesen und sagen bis zum nächsten Mal.

00:20:13: Vergesst nicht uns zu abonnieren, wenn ihr keine Folge mehr vom Vorwort verpassen wollt.

00:20:18: Tschüss.

00:20:19: Pia: Tschüss. [Outro-Musik]

00:20:20: [Pia spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck und Teil

00:20:49: Stadtstimmen, dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Pia spricht]

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