Buchbesprechung: "Nincshof" von Johanna Sebauer
Shownotes
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In ihrem neuen Format besprechen Pia und Christina aktuelle österreichische Gegenwartsliteratur. Hier findet ihr die aktuellsten Romane von neuen und bekannten Stimmen der österreichischen Literaturlandschaft.
In der heutigen Folge sprechen die beiden über Johanna Sebauers Debütroman „Nincshof“, erschienen 2023 im DuMont-Verlag.
Verlagsangabe: Nincshof, ein kleines Dorf an der österreichisch-ungarischen Grenze, soll vergessen werden. So der Plan dreier Männer, die sich »die Oblivisten« nennen und raus wollen aus der hektischen Zeit. Wenn niemand mehr von ihnen weiß, können sie und das ganze Dorf in Freiheit und Ruhe leben. Laut Legende ist das in Nincshof schon einmal so gewesen. Ausgerechnet die alte Erna Rohdiebl soll dabei helfen, dass dieses Vorhaben gelingt, denn die drei Männer glauben, dass die alte Frau die Freiheit im Blut hat und daher genau die Richtige für ihre Bewegung ist. Erna Rohdiebl wiederum hat in ihrem langen Leben selten Dümmeres als die Idee zu verschwinden gehört, aber ihre Neugierde siegt. Abend für Abend poltern die Oblivisten an ihre Eckbank und plotten bei Speckbroten und Pusztafeigenschnaps ihr Verschwinden. Alles scheint nach Plan zu verlaufen. Wenn da nicht die Neuen aus der Stadt wären. Ein turbulenter Sommer beginnt, und es entspinnt sich eine Geschichte über das Vergessen und das Erinnern. Über das Leben und seine Irrwitzigkeiten. Übers Heutige und Gestrige. Über die Komik von Landkarten, das Fiktive an der Realität und die Wirklichkeit von Ausgedachtem.
„Nincshof“ von Johanna Sebauer gibt’s auch in der Stadtbibliothek: https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/103242 https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/105188 (ebook)
Christinas Literaturtipp: Hunchback von Sao Ichikawa - aus dem japanischen von Katja Busson (Ecco Verlag, 2025): https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/120822
Pias Literaturtipp: Dracula Daily Newsletter: https://draculadaily.com/ (nächste Runde startet 3.Mai)
svorwort #bibcast #popcast #gemeinsambesserlesen #stadtstimmen #nincshof
Transkript anzeigen
00:00:00: [moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchen führen. [moduliert]
00:00:07: Pia: Das Buch in einem Satz, Christina, wie würdest du das beschreiben?
00:00:11: Christina: Okay, "Nincshof" zu lesen ist wie sich die Flugreise über den Atlantik nach Stars Hollow zu sparen.
00:00:18: Pia: Bringt das Ganze ziemlich auf den Punkt.
00:00:20: Christina: Findest du?
00:00:21: Ja, finde ich. [beide lachen]
00:00:22: [Intro-Musik] Christina: Hallo und herzlich willkommen zurück zum Vorwort, dem Podcast der Stadtbibliothek Innsbruck.
00:00:42: Mein Name ist Christina.
00:00:43: Pia: Und ich bin die Pia.
00:00:44: Christina: Und heute geht es los mit unserer Buchbesprechung.
00:00:48: Wir sprechen heute über "Nincshof" von Johanna Sebauer.
00:00:52: Das ist erschienen im DuMont-Verlag im Jahr 2023.
00:00:57: Ich schaue nämlich gerade wieder Gilmore Girls.
00:01:01: Daher kommt die Anspielung für alle, die es noch nicht wissen.
00:01:04: Das ist von diesem Skurrilitätsfaktor ... natürlich, das eine spielt in einem US-amerikanischen Dorf.
00:01:10: Irgendwo in Massachusetts, das ist auch fiktiv.
00:01:12: Das andere spielt irgendwo in Österreich.
00:01:15: Ich würde unterstellen im Burgenland. [Pia lacht]
00:01:17: In deinem fiktiven Dorf im Burgenland.
00:01:20: Aber kommt hin.
00:01:23: Pia: Ja, ähnlicher Vibe.
00:01:25: Christina: Magst du uns vielleicht für unsere Zuhörer*innen die Inhaltsangabe erst einmal geben, damit wir alle auf dem selben...
00:01:31: Sicher natürlich, aber vielleicht zuerst zu Frau Sebauer selber.
00:01:36: Christina: Gute Idee. [lacht]
00:01:37: Pia: Die ist 1988 geboren, eine österreichische Schriftstellerin.
00:01:41: Im Burgenland aufgewachsen, daher kommt das Burgenland.
00:01:44: "Nincshof" ist ihr Debütroman, 2023 wie du sagtest im DuMont-Verlag erschienen.
00:01:50: Und erzählt die Geschichte eines Dorfes irgendwo in Österreich, das vergessen werden möchte.
00:01:55: Es liegt an der österreich-ungarischen Grenze und hat sich nie wirklich mit der modernen Welt angefreundet.
00:02:01: Es gibt in dem Buch drei Männer, den Bürgermeister, den Valentin und den über hundertjährigen SippSepp.
00:02:07: Und die verfolgen einen sehr ungewöhnlichen Plan.
00:02:10: Sie wollen das Dorf gründlich aus dem kollektiven Gedächtnis löschen, so dass die Welt es vergisst.
00:02:15: Ihre Motivation ist die Sehnsucht nach absoluter Ruhe und Freiheit und unbehelligt von Touristen, Internet und den Zwängen der Zeit zu sein.
00:02:23: Aber da brauchen sie Unterstützung.
00:02:25: Und da finden sie die alte Erna Rohdiebl, von der sie glauben, dass sie das Freiheitsgefühl im Blut hat. [lacht]
00:02:31: Erna hält die Idee zwar für Unsinn, doch ist auch an irgendjemand ein bisschen neugierig.
00:02:36: Und schließt sich dann diesen selbsternannten Oblivisten an.
00:02:40: Und diese Oblivisten setzen ihren Plan konsequent um.
00:02:43: Es werden Straßenschilder entfernt, Seiten aus Bibliotheksbüchern gerissen.
00:02:47: Das geht ganz und gar nicht, finden wir natürlich.
00:02:49: Internetseiten werden verschwunden [lacht], man wird dort unerwünschte Besucher verkraulen.
00:02:55: Radfahrer werden zum Beispiel mit komischem Gestank in die Flucht geschlagen.
00:03:00: Also ja, da geht es dann schon ziemlich zu.
00:03:02: Alles scheint nach Plan zu laufen, bis neue Bewohner in der Stadt auftauchen.
00:03:07: Christina: Die Zuagroastn!
00:03:08: Pia: Ja, genau. [lacht]
00:03:09: Die Filmmemacherin Isa Bachgasser und ihr Irrziegenzüchter, ihr Mann,
00:03:15: das Silvano Mezzaroni.
00:03:17: Christina: [in schlechtem Italienischen Dialekt] Silvano Mezzaroni.
00:03:18: Pia: Genau. [lacht]
00:03:19: Und die sorgen für Unruhe, denn die haben ihre eigenen Vorstellungen, was man denn mit "Nincshof" machen soll.
00:03:24: Und so nimmt ein sehr turbulenter Sommer seinen Lauf.
00:03:27: Christina: Genau, und das ist ja auch totaler sommerliches Buch für mich.
00:03:31: Pia: Ja, total.
00:03:32: Wie hat es dir denn gefallen?
00:03:35: Wie ist es dir dabei gegangen, Christina, wo du das Buch gelesen hast?
00:03:39: Christina: Also ich finde, es ist ein sehr erbauliches Buch.
00:03:42: Es macht gute Laune und es ist wunderbar skurril, deswegen die Anspielung auf Stars Hollow vorhin.
00:03:48: Es ist sehr witzig geschrieben, ironisch und aber auch warmherzig und das habe ich sehr mögen.
00:03:55: Deswegen habe ich das Buch wirklich sehr genossen.
00:03:58: Es war teilweise sehr absurd.
00:04:00: Und dann aber wiederum auch geerdet, weil gefühlt kennen wir so ein kleines Dorf in Österreich alle ein bisschen.
00:04:08: Ich habe mir dann gedacht, [amüsiert] ich kenne nicht nur so einen Dorf, ich wohne in einem solchen Dorf in Österreich. [Pia lacht]
00:04:15: Und wie die Erna Rohdiebl habe ich mir auch schon mal im Sommer gedacht, ich würd gerne,
00:04:19: ganz am Anfang vom Roman, möchte sie sich ja reinschleichen in das Schwimmbecken,
00:04:25: in den Swimmingpool ihrer Nachbarnin, die auf Urlaub ist.
00:04:29: Und hey, wer kennt es nicht, richtig? [beide lachen]
00:04:32: Und ich finde ja, dass am besten die Art von Regionalroman ist,
00:04:38: wenn sie Land und Leute gekonnt nachzeichnen.
00:04:42: Und das gelingt dem Text.
00:04:44: Aber gleichzeitig habe ich sie ein bisschen als romantisiert empfunden, romantisiert-überzeichnet, möchte ich sogar sagen.
00:04:50: Das macht aber in dem Fall die Beobachtungen umso schlagkräftiger.
00:04:55: Und die Figuren, es ist jetzt eine ganze Weile her, dass ich es gelesen habe vor der Aufnahme.
00:05:01: Die Figuren leben noch mit mir, also die trage ich noch mit mir rum und das ist immer ein gutes Zeichen.
00:05:08: Genau, und das ist mit - [amüsiert] eine meiner Lieblingsstellen war es, wo dann die Oblivisten dann der Gemeinde-Website an den Kragen gegangen sind. [lacht]
00:05:18: Das kommt einem dann schon sehr bekannt vor. [lacht]
00:05:23: Pia: Da gibt es ein paar solche Szenen, wo man sich kaputt lacht mit den Figuren und über die Figuren.
00:05:28: Christina: Damit die Leute sich noch einmal auskennen, welche Figuren die wichtigsten sind, die Erna Rohdiebl, das ist die Alteingesessene.
00:05:36: Und ich würde jetzt mal grob sagen auf unsere Protagonistin, oder?
00:05:40: Pia: Ja, der größte Teil vom Roman spielt irgendwie, also man sieht es durch ihre Augen, ein bisschen.
00:05:45: Sie wird dann eben auch involviert in das Ganze und hat dann aber auch eben mit diesen, wie hast du gesagt, die Zuagroastn? - Christina: Die Zuagroastn. [beide lachen]
00:05:50: Pia: Hat dann auch mit den Zuagroastn zu tun.
00:05:53: Christina: Die Zuagroastn, das sind die Isa Bachgasser und der Silvano Mezzaroni.
00:05:58: Die Eheleute aus Wien, sie ist Dokumentarfilmemacherin, was natürlich ein bisschen den Oblivisten wiederum zuwiderläuft.
00:06:06: Und dann noch der Bürgermeister, der keinen Namen hatte, das ist "der Bürgermeister".
00:06:10: Der SippSepp, der schon so alt ist, dass keiner mehr weiß, wie alt er eigentlich ist.
00:06:15: Und dann der Valentin, der sozusagen in diesem Oblivisten-Trio die jüngere Generation darstellen soll.
00:06:22: Das war ein relativ junger Mann.
00:06:25: Was ist dir denn aufgefallen an dem Text?
00:06:28: Pia: Also mir hat es total sehr gut gefallen. Es war extrem unterhaltsam, unterhaltlich.
00:06:33: Christina: Unterhaltlich?
00:06:34: Pia: Unterhaltlich. [lacht]
00:06:35: Christina: Gibt es das Wort?
00:06:36: Pia: Gibt es das Wort? Ja, das finden wir dann auch raus. [lacht]
00:06:38: Das googeln wir dann.
00:06:40: Es geht natürlich, so wie man das bei der Zusammenfassung auch schon liest, es geht, oder hört, da geht es ja wirklich auch um die Frage nach dem Vergessen und die Freiheit, die dieses Vergessen mit sich bringt.
00:06:52: Während die moderne Welt nach Aufmerksamkeit, Sichtbarkeit und Vernetzung strebt, geht "Nincshof" dann den entgegengesetzten Weg, die wollen eben vergessen werden und sie rühmen sich damit vergessen zu werden.
00:07:03: Die Oblivisten, diese drei Herren da eben und die Frau Rohdiebl, die glauben, dass wahre Unabhängigkeit nur dann erreicht wird, wenn niemand mehr von ihnen weiß.
00:07:13: Was meinst du, Christina? [lacht]
00:07:15: Was ist deine Reaktion auf den Oblivismus? Für mich ... Also das hat das Ganze irgendwie skurriler, lustiger und humoriger gemacht.
00:07:23: Christina: Volle. Also es ist ja schon sehr märchenhaft dargestellt und es soll auch witzig sein.
00:07:28: Da kommen wir später noch drauf, ob das dann funktioniert oder nicht.
00:07:32: Aber ich glaube, dass das der Wunsch, dass sich ins Private zurückzuziehen in diesen turbulenten Zeiten, die ist ja auch was, was inzwischen grundsätzlich viel beobachtet ist.
00:07:41: Also das ist, das ist, was ich gut hab nachvollziehen können.
00:07:44: Und auch diese allgemeine Beobachtung, diese Rückzug ins Private, der gerade einfach stattfindet,
00:07:52: ich finde, das greift der Roman auf, aber eben auf eine sehr charmant-ironische Weise, das hätte er ja ganz anders machen können.
00:08:00: Das hätte in eine ganz andere, düstere Richtung gehen können.
00:08:04: Und das hat der Text aber eben nicht gemacht.
00:08:07: Und in diesem skurrilen Ton, von dem wir ja schon so viel reden, liegt für mich auch so ein Kommentar über den Aberwitz von diesem Vorhaben.
00:08:15: Das heißt, es nimmt so ein bisschen vorweg, wie unmöglich das natürlich eigentlich ist.
00:08:20: Darin liegt ja der so ein bisschen das Absurde.
00:08:23: Und die möchten diese alte Zeit zurück,
00:08:27: die Bewohner eben gerade unsere drei Oblivisten; die Erna, schwingt ja so ein bisschen mit, habe ich das Gefühl.
00:08:34: Die ist mehr unsere "Augen".
00:08:36: Die wollen vor dem Internet sein, vor dem Trendradfahren.
00:08:40: Sie regen sich ja so wunderbar über die Rennradelfahrer auf.
00:08:44: Da muss ich auch lachen, weil ich wohne auch neben einer Straße, wo sehr viele Rennradfahrer den Berg hinaufhecheln. [beide lachen]
00:08:51: Heutzutage wäre es wahrscheinlich Gravel-Bike.
00:08:54: Und ich finde, dass die österreichische Literatur sich sehr oft, gerade die neueren Romane, also, die Romane, die ich zuletzt gelesen habe,
00:09:04: sich mit diesem Spannungsfeld zwischen Tradition und eben Tourismus im weiteren Sinne oder eben auch was, in dem Fall auch Technologie so ein bisschen bewegen.
00:09:15: Und dann aber, wie Tradition auch vermarktet wird, weil "Nincshof" ist ja irgendwie auch so ein Tourismusgebiet [zögert] -
00:09:23: Ist es nicht im eigentlichen Sinne, sondern es ist mehr so ein Ausflugsziel in dem Fall?
00:09:29: Pia: Ja, ein Durchfahrtsgebiet und halt Natur erleben dort in der Nähe.
00:09:32: Nicht Nincshof an sich als Dorf, aber halt die Umgebung drum herum.
00:09:36: Christina: Genau, wo die Radelfahrer halt immer durchfahren, weil man da so schön, weil es die Strecke so fein hergibt.
00:09:41: Was es dann aber, das macht den Roman für mich so sympathisch, weil was es dann aber heißt, in so einem Gebiet zu leben und wie sich das dann anfühlt,
00:09:48: wenn man vielleicht auch ein bisschen aus dem eigenen Lebensumfeld oder aus dem eigenen Rhythmus und Groove so ein bisschen gedrängt wird.
00:09:54: Als Innsbrucker*in kann man das vielleicht auch noch einmal ganz anders nachvollziehen, wo man, man geht in gewisse Lokale nicht oder man geht halt - Pia: In die Altstadt. [lacht] Da vermeidet man gewisse Sachen.
00:10:04: Christina: Ja, man geht nicht in die Altstadt.
00:10:06: Genau. Und, wie gesagt, der Ton nimmt für mich eben vorweg, "nein, man kann das natürlich nicht machen, man kann nicht zurück in die gute alte Zeit", was auch immer das sein soll.
00:10:18: Und das macht aber den Wunsch darüber nicht weniger nachvollziehbar und ... es menschelt.
00:10:25: Pia: Was ich halt auch noch interessant gefunden habe an dem Ganzen, dass es aber auch so, obwohl es eben dieser unter Anführungszeichen "Heimatroman" ist und dieses alte Dorf mit so alteingesessenen Bewohnern,
00:10:35: hat es dann doch mit so Normen und Traditionen gebrochen.
00:10:38: Eben, Nincshof bricht da ein bisschen mit gängigen Konventionen. In der Gesellschaft bei uns ist es ja generell, gilt das Vergessen oft als etwas Negatives,
00:10:46: man möchte in Erinnerung bleiben, auch für die Nachwelt und Spuren hinterlassen.
00:10:50: Aber "Nincshof" stellt das prinzipiell ein bisschen auf den Kopf. Aber auch eben in anderen Aspekten muss man sagen, spielen sie ein bisschen mit die traditionellen Rollenbilder.
00:10:58: In Nincshof ist es zum Beispiel gängig, dass der Name des Mannes nicht weitergegeben wird, sondern der der Frau, ergänzt aber mit dem Suffix "-er".
00:11:07: Das heißt, in Erna Rohdiebls Familie sind es dann nicht die Rohdiebls, sondern die Rohdieblers. Ihr Mann heißt dann Ferdinand Rohdiebler, nach ihr.
00:11:17: Das fand ich recht interessant, dass "Nincshof" hiermit eine neue Tradition schafft und das aber komplett selbstverständlich für alle Nincshofer ist.
00:11:25: Im Gegenteil dazu hat man dann eben diese moderne Filmemacherin, die Frau Bachgasser, diese vermeintlich moderne Frau, die ein bisschen ein komischer Kauz ist, [lacht]
00:11:34: weil sie das nicht gleich versteht und dieses alteingesessene System nicht verstehen will.
00:11:39: Was war deine Reaktion auf die Umkehrung von gesellschaftlichen Mustern?
00:11:44: Christina: Mir ist das gar nicht so aufgefallen. Ich habe schon gefunden, dass die Erna Rohdiebl, die ja übrigens auch eine sehr alte, ungewöhnlich alte Protagonistin ist, was auch einmal erfrischend war,
00:11:59: die habe ich als, also, "emanzipiert" empfunden, ohne dass ich mir beim Lesen gedacht habe, "Ah, die ist aber voll, die ist ja voll die Emanze."
00:12:08: Sondern die hat einfach gemacht, was sie gewollt hat. Das war irgendwie schön. [lacht]
00:12:15: Pia: Sie hat einfach ihr Ding gemacht.
00:12:17: Christina: Ja, genau. Zum Beispiel:
00:12:18: Das ist auch, habe ich ja schon gesagt, beginnt der Roman, sie bricht im Sommer in den Garten der verreisten Nachbarn ein und ist so freiheitsliebend und geht dann einfach so mit dem Flow und macht sich da nichts draus. [amüsiert]
00:12:31: [beide lachen] Ja, das, aber so, mir ist es mit die Rollenbilder gar nicht so aufgefallen. Hast du das Gefühl gehabt, dass der Roman das kommentiert hat?
00:12:42: Pia: Ich habe schon ein bisschen das Gefühl gehabt, dass eben die Leute aus Wien, die ja so modern sind und so und eben gerade durch diese Sicht von der Bachgasser, die eben so modern dargestellt wird.
00:12:53: Christina: Als Frau meinst du jetzt? - Pia: Als Frau, genau.
00:12:55: Dann kommt sie da rein und auf einmal ist es umgedreht und ihr kommt es ganz komisch vor und ihr weiß nicht, was sie damit anfangen soll.
00:13:01: Christina: Was genau ist umgedreht?
00:13:03: Pia: Dass die Nachnamen von den Frauen kommen und nicht von die Männer beim Verheiraten.
00:13:11: Das ist so etwas, wo man schon gemerkt hat, okay, es ist ein älteres Dorf und das sind gewisse Traditionen, aber das heißt nicht, weil es alt ist, ist es dann in dieses patriarchale System eingegliedert.
00:13:21: Christina: Es war sozusagen die Intention vom Text mehr zu suggerieren, auch wenn es, also es ein Dorf ist, heißt es nicht, dass es hinterwäldlerisch sein muss.
00:13:33: Pia: Genau.
00:13:36: Christina: Wie du sagst, um mit den Konventionen zu brechen, oder ich würde sogar eher sagen mit diesen Vorurteilen, oder?
00:13:39: Also "in Wien ist man so aufgeklärt in der großen Stadt, aber hinten im Dorf geht es ganz anders zu" und das war ja, das hat das ein bisschen gebrochen.
00:13:50: Pia: Ja, absolut.
00:13:52: Und "Nincshof" spielt ja auch bewusst mit der Frage, was wirklich ist und was nicht.
00:13:57: Du hast ja schon erwähnt, die Irrziegen, die bei der Geburt leuchten, diese Feigen, was nicht immer sie ausspricht, muss ich sagen.
00:14:05: Christina: Pusza?
00:14:06: Puszafeigenschnapps, ich hab mir nämlich das Hörbuch angehört, das hat auch seine Vorteile. [beide lachen]
00:14:10: Pia: Die gibt es nur dort angeblich oder eben der uralte SippSepp, der ist über 100.
00:14:15: Also vieles scheint erfunden, doch das ist eigentlich egal.
00:14:19: Die Geschichte selbst wird zur Wahrheit, weil sie erzählt wird.
00:14:23: Die Macht des Erzählens wird eben auch angesprochen.
00:14:26: Wir haben auch schon gesagt, die Isa Bachgasser ist ja Filmemacherin, die will auch Sachen weitergeben und gegen das vergessen arbeiten.
00:14:34: Und bezüglich Realität, die Figuren wirken oft fast wie Figuren oder Gestalten aus einer Legende, fast als ob sie nicht nur reine Personen sind.
00:14:42: Christina: Was das diesem Überzeichneten kommt.
00:14:46: Pia: Genau, die stehen dann eben auch oft für Ideen oder Haltungen und oft werden die Namen der Figuren komplett genannt.
00:14:53: Also meistens ist es so, dass dann von der "Isa Bachgasser", nicht nur von der "Isa", die Rede ist oder eben immer von der "Erna Rohdiebl".
00:15:00: Ja, das ist auch sehr interessant.
00:15:03: Christina: Es schafft so eine Distanz zu den Figuren, die Comedy, also die Komik darin dann nochmal verschärft dadurch.
00:15:13: Pia: Ja.
00:15:14: Hast du von Anfang an gewusst, dass die Irrzigen [Christina lacht] und der Schnaps erfunden sind?
00:15:19: Oder hat sie dich reingelegt, die Frau Sebauer? [lacht]
00:15:22: Christina: Also, ich habe ja gedacht, dass ich mich einfach einmal wieder in so typischen österreichischen G'schichtln nicht auskenne. [Pia lacht]
00:15:30: Und bei den Irrzigen war mir schon klar, dass da nichts leuchtet.
00:15:35: Also, dass die Ziegen grundsätzlich nicht leuchten, egal wie irre sie sind, das wusste ich.
00:15:40: Aber der Text, und da hast du recht, transportiert diese Absurditäten mit so einer Trockenheit.
00:15:46: Pia: Und Selbstverständlichkeit.
00:15:48: Christina: Selbstverständlichkeit.
00:15:50: Und aber auch wiederholt und wiederholt.
00:15:52: Man muss sich vorstellen, wie der Silvano Mezzaroni sich da hineinsteigt in seine Irrziegenzucht.
00:15:57: Und die Isa Bachgasser es dann in ihrem Kopf kommentiert und da so voll davon genervt ist.
00:16:01: Und wie dann auf einmal die Erna Rohdiebl daher kommt und das halt aus ihrer Perspektive auch noch einmal kommentiert.
00:16:06: Und dann hast du plötzlich ... passiert was mit dir.
00:16:09: Also, mir ist es zumindest so gegangen.
00:16:11: Und ich weiß von zumindest einer anderen Person auch: Da sind wir dann beide, das war die Person,
00:16:16: einer liebe Nachbarin, der ich das Buch erfolgreich empfohlen habe.
00:16:20: Dann sind wir beide am Bahngleis gestanden und haben gesagt, "Hey, hast du geschaut, gibt es Irrzigen wirklich?"
00:16:25: [beide lachen]
00:16:27: Und ich habe gesagt, "ich glaube nicht, aber ich habe das Bedürfnis gehabt zu googeln".
00:16:32: Und dann, ich glaube irgendwann habe ich es nochmal gegoogelt, es gibt keine Irrzinge.
00:16:35: Okay, wir wissen, es gibt keine Irrzinge! Aber da war es, das war so, ja, hätt ja sein können.
00:16:40: Pia: Ich hab mir auch gedacht - du weißt eh, ich kenn mich mit Tieren sowieso nicht aus, und dann war ich so,
00:16:43: ja, ja, die wird es schon irgendwo geben da in den Anden oder fragen mich nicht. [lacht]
00:16:48: Aber ich habe es nicht großartig hinterfragt, aber am Anfang werden sie nur als Irrzigen erwähnt,
00:16:52: aber nicht näher darauf eingangen?
00:16:54: Habe ich so das Gefühl gehabt, zumindest und dann aber, wo sie dann eben dann ist angefangen,
00:16:59: dass es komisch geworden ist, dieses Viech und irgendwann war es so, okay, na, da kann irgendwas nicht stimmen. [amüsiert]
00:17:03: Christina: Es ist immer absurder geworden und das hat sie eigentlich, also der Text baut es total geschickt auf,
00:17:09: von es ist noch realitätsnah zu, es wird immer skurriler.
00:17:15: Und das macht es auch dann so ein bisschen so cool, aber beim Puszafeigen-Schnapps,
00:17:20: bei dem hätte man, könnte man würde ich argumentieren, sagen,
00:17:25: vielleicht ist das ja eine burgenländische Geheimspezialität oder so.
00:17:28: Pia: Von denn niemand weiß, ja. [lacht]
00:17:30: Christina: [amüsiert] Von der ich nichts weiß, genau, so wie es Zirbenkissen in Tirol.
00:17:34: Pia: Genau, das ist ja auch nur erfunden ... [lacht]
00:17:36: Christina: Aber das nimmt es natürlich auch so ein bisschen auf die Schippe.
00:17:39: Pia: Ja, genau, eben.
00:17:43: Man spielt ein bisschen mit dieser Frage nach der Wahrheit
00:17:45: und letztlich stellt "Nincshof" nicht nur die Frage, ob man sich aus der Welt tilgen kann,
00:17:51: sondern auch, ob es überhaupt drauf ankommt, was denn wirklich ist.
00:17:56: Die Geschichte selbst schafft eine eigene Realität
00:17:59: und das Erzählen allein hat schon eine gewisse Wirkung erzielt.
00:18:03: Was wahr ist und was erfunden, verliert ein bisschen an Bedeutung.
00:18:07: Da die Geschichte eben an sich steht.
00:18:10: Am Anfang war ich da so ein bisschen so, "Nein, das ist ja wichtig, ob die Sachen tatsächlich passiert sind oder nicht."
00:18:14: Und irgendwann im Laufe der Geschichte denkt man sich,
00:18:17: "aber sie sind so charmant, die will ich gar nicht wissen, ob sie echt waren oder nicht."
00:18:21: Das ist gar nicht mehr so relevant für mich.
00:18:24: Und deswegen war das Buch für mich fast so eben moderner Heimatroman.
00:18:27: Nach dem Motto, man kann sich die Heimat auch modern denken.
00:18:31: Wie war das für dich?
00:18:33: Christina: Also ich finde, im Kontext von so einem netten Roman,
00:18:39: der natürlich die Intention hat, märchenhaft zu sein,
00:18:43: spielt die Wahrheit natürlich überhaupt gar keine Rolle. [lacht]
00:18:46: Und dann lässt man sich da drauf diese Art von Mythenbildung auch ein.
00:18:49: Wobei, falls die Frage im Raum steht, ist Wahrheit wichtig, dann ja, [beide lachen]
00:18:54: unabhängig von Fiktion.
00:18:57: Aber es gibt sehr, sehr viele Anti-Heimatromane in der österreichischen Literaturlandschaft.
00:19:03: Und zu gutem Recht gibt es viele Dinge, die aufgearbeitet gehören,
00:19:07: und kritisiert gehören.
00:19:08: Und da kommen dann oft eben auch Dorflandschaften nicht gut weg.
00:19:12: Und "Nincshof" macht es aber eben nicht.
00:19:14: Ich habe das Gefühl auch aus diesem,
00:19:16: sich gegen den Anti-Heimatroman stemmen.
00:19:20: Das ist so ein liebevoller Umgang mit diesem Stadt-Land-Gefälle.
00:19:26: Und ja, und aber auch gleichzeitig natürlich ganz unkritisch und unpolitisch, schon.
00:19:36: Aber das, ich finde, kann man dem Roman wunderbar verzeihen,
00:19:39: weil es einfach so, einfach so liebevoll ist.
00:19:43: So, Pia, wir sind am Ende unserer Buchbesprechung angelangt.
00:19:50: Was ist denn unser Fazit?
00:19:53: Pia: Für uns beide, glaube ich, ist es durch und durch empfehlenswert,
00:19:56: vor allem eben als Debüt.
00:19:58: Man hat liebevoll leicht überzogene Figuren mit vielen skurrilen Eigenheiten.
00:20:04: Die werden da so wunderbar perfekt gezeichnet.
00:20:05: Der Humor ist liebevoll und absurd.
00:20:08: Ufert aber nicht aus.
00:20:10: Es ist eine warmherzige Lektüre, leichtgängig und auch nicht substanzlos, für uns.
00:20:15: Also vielleicht die perfekte Sommerlektüre.
00:20:18: Genau. - Christina: Ja, cool. Also ich habe keine Sekunde des Romans,
00:20:21: den ich mit dem Roman verbracht habe bereut, muss ich sagen.
00:20:24: Ist immer ein gutes Zeichen.
00:20:26: Pia: Na, ich wollte immer weiterlesen.
00:20:28: Christina: Übrigens auch das Debüt von der Johanna Sebauer, gell?
00:20:30: Pia: Eben, genau.
00:20:33: Christina: Das muss man auch nochmal sagan. Also, ich freu mich schon extrem, wenn sie einen neuen Roman rausbringt.
00:20:35: Ja, und bevor wir jetzt abschließen, haben wir uns noch gedacht,
00:20:41: wir haben ein paar Lesenempfehlungen zusammengetragen,
00:20:44: Sachen, die wir gerade so nebenher noch am Lesen sind.
00:20:47: Pia, magst du anfangen?
00:20:49: Pia: Etwas, was wir das letzte Mal erwähnt haben,
00:20:52: bei unseren "Entstehungsgeschichten", da haben wir über "Dracula" geredet.
00:20:55: Und dann habe ich so Lust drauf gehabt
00:20:57: und habe wieder angefangen, "Dracula" von Bram Stoker zu lesen.
00:20:59: Aber nicht regulär, wie man sonst so liest. [lacht]
00:21:02: Sondern über "Dracula Daily", das ist ein Newsletter,
00:21:06: wo man die Briefe und die Zeitungsausschnitte des Briefromans in Echtzeit,
00:21:10: also wie im Roman bekommt.
00:21:12: Da bekommt man halt alle ein paar Tage so eine Mail.
00:21:14: Es ist ein bisschen eine andere Art einen Klassiker zu lesen.
00:21:16: Aber ich habe es charmant gefunden.
00:21:18: Vor allem in so kleinen Happen ist es dann auch recht leicht verdaulich.
00:21:20: Christina: Und das läuft gerade, oder?
00:21:22: Pia: Genau, es läuft gerade.
00:21:24: Christina: Ist kostenlos?
00:21:26: Pia: Ist kostenlos, genau. Der Jonathan ist gerade irgendwo im Schloss.
00:21:28: Aber ihm kommt es schon komisch vor. [lacht]
00:21:31: Christina: Und dann ist es dann auch ein Tag für Tag mit,
00:21:32: kriegst du so einen "Brief" vom Jonathan -
00:21:34: Jonathan Harker ist der Protagonist in "Dracula".
00:21:36: Oder vielleicht ist Dracula der Protagonist in "Dracula". [beide lachen]
00:21:38: Pia: Genau.
00:21:40: Christina:Cool.
00:21:42: Pia: Und du? Was liest du gerade?
00:21:44: Christina: Gelesen habe ich "Hunchback" von der Sao Ichikawa,
00:21:49: das ist eine japanische Autorin.
00:21:51: Da handelt es sich um eine Novelle,
00:21:54: die sich mit der Sichtweise der körperlich schwer beeinträchtigten Protagonistin
00:22:00: auseinandersetzt.
00:22:01: Da geht es um Autonomie und Sexualität, auch in der Behinderung.
00:22:04: Und auch um das Thema, so ein bisschen mehr nebenher,
00:22:07: Pflegenotstand im Industrieland Japan.
00:22:10: Das ist ja auch für uns ein aktuelles Thema.
00:22:13: Es hat sich auch sehr viele Parallelen gelesen.
00:22:17: Wie gesagt, ein sehr, sehr kurzes Buch.
00:22:19: Die japanische Autorin hat angeborene Myopathie.
00:22:22: Und das war dann irgendwie so ein,
00:22:27: im amerikanischen Raum sagt man, "own voices"-Roman.
00:22:30: Habe ich noch nie gelesen von einer Autorin,
00:22:33: die diese Krankheit auch hat.
00:22:36: Und die aus ihrer Sichtweise literarisch schreibt.
00:22:40: Und das war ein totales Leseerlebnis.
00:22:43: Es ist wirklich kurz.
00:22:45: Ich finde, ehrlich gesagt, jeder, jeder, jeder sollte das lesen.
00:22:48: Und das hat auch den renommierten Akutagawa-Literaturpreis in Japan gewonnen.
00:22:54: Steht auf der Longlist vom International Booker Prize.
00:22:56: Das ist ein großer Preis in Großbritannien.
00:22:59: Wow, also es ist schräg.
00:23:03: Es bläst einen weg, weil man die Perspektive und die Emanzipiertheit,
00:23:11: mit der da geschrieben wird, nicht unbedingt ... sicher nicht jeder gewohnt ist.
00:23:17: Pia: Es klingt interessant.
00:23:19: Und die japanische Literatur ist ja sowieso im Moment sehr in.
00:23:23: Muss man sagen.
00:23:24: Christina: Und es ist aber kein Wohlfühl-Roman.
00:23:26: Das möchte ich vorweggenehmen. [beide lachen]
00:23:28: Kein Buchladen mit Katze.
00:23:30: Pia: Ja, dann sagen wir Danke fürs Zuhören.
00:23:33: Und freuen uns schon, wenn ihr beim nächsten Mal wieder dabei seid.
00:23:36: Christina: Bitte denkt drauf, uns zu abonnieren, wenn ihr keine Folge mehr verpassen wollt.
00:23:41: Schreibt uns eure Meinung zu "Nincshof" auf post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at.
00:23:48: Da könnt ihr uns auch gerne Themenwünsche hinterlassen.
00:23:52: Auch für alle anderen Formate im Vorwort.
00:23:56: Und ihr könnt uns, erreicht uns auch über Instagram stadtbibliothek.innsbruck.
00:24:01: Schönes Lesen wünschen wir.
00:24:03: Pia: Tschüss!
00:24:05: [Outro-Musik]
00:24:28: [Pia spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck
00:24:31: und Teil der Stadtstimmen,
00:24:33: dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Pia spricht]
00:24:35:
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