Kurz und Schmerzlos mit ... Dirk Kurbjuweit ("Nachbeben")

Shownotes

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Der Journalismus, sagt Journalist Dirk Kurbjuweit, sei für ihn die Nabelschnur zur Welt. Das Schreiben wiederum diene der Erholung – denn Dirk Kurbjuweit ist nicht nur Chef-Redakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, sondern auch Schriftsteller, der bereits etliche Romane und Theaterstücke verfasst hat. Sein neuer Roman „Nachbeben“ ist 2025 im Penguin-Verlag erschienen.

Im Gespräch mit Boris teilt er seinen Weg zur Schriftstellerei, spricht über seinen Roman, aber auch darüber, was es bedeutet, heute Journalismus zu betreiben und Nachrichten zu machen. Tempo und Tiefe – das ist die journalistische Strategie des Spiegels.

„Nachbeben“ von Dirk Kurbjuweit im Penguin-Verlag: https://www.penguin.de/buecher/dirk-kurbjuweit-nachbeben/buch/9783328604082 Gibt’s auch in der Stadtbibliothek: https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/120955

Dirk Kurbjuweits Buchtipp: Die Midaq-Gasse von Nagib Mahfus: https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/6362

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00:00:00: [moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchen führen. [moduliert]

00:00:07: [Intro-Musik] Boris: Hallo und herzlich willkommen zurück beim "Vorwort: Kurz und Schmerzlos". Heute mit Dirk

00:00:28: Kurbjuweit und mein Name ist Boris Schön. Dirk Kurbjuweit, schön, dass Sie da sind. Darf ich

00:00:35: Sie als erstes bitten, sich kurz vorzustellen? - Dirk Kurbjuweit: Ja, vielen Dank für die Einladung. Freue

00:00:40: mich, dass ich hier sein darf. Ja, ich bin Journalist, das ist mein Hauptberuf und da bin

00:00:47: ich Chefredakteur vom "Spiegel", dem deutschen Nachrichtenmagazin und lebe in Hamburg und

00:00:54: in Berlin. Dann habe ich noch einen zweiten Beruf und der ist Schriftsteller. Ich habe

00:00:59: zehn Romane geschrieben, Theaterstück, Drehbücher. - Boris: Sie sind ja schon sehr lange im Journalismus

00:01:05: tätig. Also ich habe jetzt nur so mit einer Grobrecherche mindestens 35 Jahre oder mehr. [Dirk Kurbjuweit: Ja.]

00:01:11: Darf ich Sie fragen, so ganz allgemein, wie hat sich denn diese Berufstätigkeit oder

00:01:18: der Beruf durch die Jahre verändert? Er hat sich extrem verändert durch die digitalen

00:01:23: Medien, durch das Internet. Beim "Spiegel" zu sein hieß früher, bei einem Nachrichtenmagazin,

00:01:31: einem Wochenmagazin zu sein mit einem Wochenrhythmus. Das heißt, wir hatten viel Zeit für Recherchen

00:01:37: und auch Zeit zum Schreiben. Heute haben wir eben auch eine Website, die eigentlich das

00:01:43: Zentrum ist mittlerweile von unserem Verlag und das ist ja sehr schnell, schnellerer

00:01:48: Journalismus und das ist ganz anders als früher. Gleichwohl haben wir immer noch Bereiche,

00:01:54: in denen wir das Alter auch bewahren, in denen wir unseren Leuten Zeit geben für die Recherche

00:01:59: für das Schreiben, aber insgesamt würde ich sagen, ist der journalistische Alltag viel

00:02:04: dichter und viel schneller geworden. - Boris: Das heißt aber, setzen Sie da unterschiedliche

00:02:09: Techniken ein, ob es für das Printmedium ist oder für das digitale Medium? Also nehmen

00:02:14: Sie sich mehr Zeit für das Printmedium immer noch und es ist dann tiefergehend, kann man

00:02:18: das so unterscheiden oder ist das gar nicht so die...

00:02:21: Dirk Kurbjuweit: Generell gilt bei uns die Strategie "Digital First", also das ist schon, wie gesagt, das

00:02:26: Zentrum, das Wichtigste, aber wir haben eigentlich zwei Pfade, die wir verfolgen. Das eine ist

00:02:31: Tempo und der andere heißt Tiefe und Tempo ist vor allem die Devise für die Seite und

00:02:39: Tiefe ist die Devise für das Heft, aber es geht auch sozusagen umgekehrt, dass wir natürlich

00:02:45: auch tiefe Texte auf der Seite haben und generell kommt alles, was ins Heft für das

00:02:51: Heft gemacht wird, auch auf die Seite.

00:02:53: Jetzt ergänzend dazu, dass es ja eine digitale Variante gibt: Wie gehen Sie denn damit um,

00:02:58: dass mir vorkommt, dass immer mehr klassische Medien von vielen Menschen nicht mehr genutzt

00:03:04: werden, sondern die sich anders informieren und da kann man dann immer so ein bisschen

00:03:09: dieses Thema mit den Fake News noch reinbringen und unseriöse Quellen oder nicht klar recherchierte

00:03:15: Quellen ... Wirkt sich das auch aus auf die journalistische Tätigkeit oder sagen Sie sozusagen, wir machen

00:03:21: unser Ding und wer das konsumiert, der kriegt Qualität und wie kann man sich das vorstellen?

00:03:27: Dirk Kurbjuweit: Ja, erst einmal ja, also wer uns liest, der bekommt Qualität, aber wir müssen natürlich

00:03:33: auch da sein, wo die Leserinnen und Leser sind und gerade bei den Jüngeren sind das halt

00:03:38: die sozialen Netzwerke und deshalb haben wir auch Auftritte bei Instagram, bei TikTok,

00:03:44: jetzt neuerdings auch WhatsApp und so und wir berichten auch dort und natürlich, wie

00:03:51: Sie sagen, ist das auch ein Bereich in der Fake News, gerade die Netzwelt, und da halten

00:03:58: wir dagegen und sagen hier informiert euch bei uns, wir recherchieren gründlich, wir haben

00:04:05: Fact Checker und auf unsere Informationen könnt ihr euch verlassen.

00:04:09: Boris: Sie haben mir vorhin schon gesagt, Sie sind der Chefredakteur des "Spiegels", jetzt, wie

00:04:14: kann man sich diese Tätigkeit vorstellen? Sie werden ja nicht nur Texte schreiben, Sie

00:04:17: werden ja auch sehr viel koordinativer Arbeit, Blattlinie oder was sind da die Bereiche,

00:04:22: die Sie da alle ...?

00:04:25: Dirk Kurbjuweit: Schreiben, das ist tatsächlich die kleinere Aufgabe für mich mittlerweile, sondern ich muss eine

00:04:29: große Redaktion leiten, 600 Leute arbeiten dort und mein Tag beginnt natürlich mit Lektüre

00:04:37: und dann folgt eigentlich eine Konferenz der nächsten und wir haben so eine Morgenkonferenz,

00:04:42: wo wir die Themen des Tages besprechen und dann gibt es natürlich viele Treffen, wo wir

00:04:48: eben solche Dinge besprechen, wie Strategien, wie machen wir weiter, auch Blattlinie, wie

00:04:55: verhalten wir uns zu bestimmten Entwicklungen und der Tag ist von morgens bis abends sehr,

00:04:59: sehr dicht und es sind vor allem Begegnungen mit Menschen, Konferenzen, Einzelgespräche,

00:05:04: eigentlich kann man sagen, dass ich von morgens bis abends rede und zuhöre, das ist mein

00:05:10: Job.

00:05:11: Boris: Sie sind ja heute bei uns im Haus, weil Sie das Innsbrucker Prosa-Festival, die 23.

00:05:16: Ausgabe mit Ihrer Lesung eröffnen.

00:05:18: Jetzt, wenn Sie sagen, Ihr Tag ist so voll, Sie sind ja Schriftsteller, wie Sie auch

00:05:24: gesagt haben, wann schreiben Sie dann?

00:05:25: Ist das eine Wochenend-, Nachts- oder Urlaubstätigkeit oder wie kann man sich das vorstellen?

00:05:31: Dirk Kurbjuweit: Ja, als Chefredakteur komme ich natürlich nicht so oft dazu, klar, aber ich nehme mir manchmal

00:05:37: Abende, an denen ich schreibe.

00:05:41: Für mich ist das, verstehen meine Kollegen manchmal nicht, weil für mich ist dieses

00:05:45: Schreiben auch eine Form von Erholung, weil der "Spiegel"-Alltag ist sehr, sehr intensiv

00:05:51: und ist für mich nicht so leicht, abends da raus zu kommen und Erholung zu finden.

00:05:56: Und wenn ich aber in eine Romanwelt überwechsel, dann kann ich mich erholen, weil ich in einer

00:06:02: anderen Welt bin.

00:06:03: Da ist der Spiegel sehr, sehr

00:06:04: fern, denke nicht mehr daran, was am Tag passiert ist

00:06:07: oder am nächsten Tag kommen wird, sondern ich lebe

00:06:10: mit meinen Figuren in der Romanwelt und dabei

00:06:13: kann ich mich sehr gut erholen und dann mache ich

00:06:15: ein, zwei Mal im Jahr eine Klausur für ein, zwei

00:06:18: Wochen und da lebe ich dann komplett in dieser Romanwelt

00:06:22: und so kann ich das eigentlich ganz gut miteinander

00:06:24: vereinbaren. - Boris: Jetzt sagen Sie, dass es eine Art

00:06:28: der Erholung ist von Ihrer Tätigkeit, aber ich

00:06:31: kann mir es kaum vorstellen, wenn Sie so viel

00:06:33: berufstätig sind im Journalismus, dass dann

00:06:35: nicht auch ein Einfluss vielleicht auf Themen

00:06:37: oder auf Ideen oder Ähnliches von der, ich

00:06:41: weiß nicht, kann man vom Brotberuf sprechen

00:06:44: vielleicht im Verhältnis zum schriftstellerischen

00:06:48: Beruf. Gibt es da einen Einfluss?

00:06:52: Dirk Kurbjuweit: Ganz sicher. Für mich ist der Journalismus

00:06:55: eigentlich die Nabelschnur zur Welt. Über den

00:06:58: Journalismus werde ich sehr direkt versorgt mit

00:07:01: Informationen, mit dem was eben in der Welt

00:07:05: passiert und das beeinflusst mein Denken

00:07:07: ganz stark und aus diesem Denken entstehen

00:07:11: oft auch Romane. Also viele meiner Romane

00:07:13: haben eben auch als Hintergrund, als Untergrund

00:07:17: politische Themen der Zeit und insofern würde ich

00:07:21: sagen, dass mein Nebenberuf als Schriftsteller

00:07:25: schon stark geprägt ist auch von meinem

00:07:28: journalistischen Beruf. - Boris: Wenn man jetzt biografisch

00:07:30: noch mal ganz zurückgeht, war beides von

00:07:32: Anfang an da oder gab es da eine Reihenfolge

00:07:35: erst journalistisch dann Romanen, Schriftsteller

00:07:39: oder eben abgesehen von dem was sie veröffentlicht

00:07:41: haben, tendenziell schreibt man ja vielleicht

00:07:44: literarisch und lange bevor dann die erste

00:07:46: Veröffentlichung kommt?

00:07:47: Dirk Kurbjuweit: Ja, es gab einen Wechsel. Also ich habe eigentlich

00:07:51: angefangen sozusagen mit literarischen Versuchen

00:07:54: schon als Schüler am Gymnasium, habe ich

00:07:56: Kurzgeschichten geschrieben, ich hatte da eine

00:07:58: frühe Leidenschaft für Literatur, dann habe

00:08:02: ich mich aber nicht so richtig getraut

00:08:04: Schriftsteller zu werden, das schien mir irgendwie

00:08:06: zu groß, zu fern irgendwie auch, bin jetzt auch

00:08:11: nicht gerade vor einem Bücherregal aufgewachsen,

00:08:14: also das war schon eine ferne Welt für mich

00:08:17: und ja, ich war aber auch politisch interessiert,

00:08:20: also bin ich dann Journalist geworden und dann

00:08:23: so mit Ende 20 habe ich dann so all mein Mut

00:08:26: dann zusammen gerafft und hatte dann auch

00:08:28: würde die journalistische Arbeit sicherlich auch

00:08:31: Selbstvertrauen geworden und dann habe ich es

00:08:34: riskiert den ersten Roman zu schreiben.

00:08:36: Boris: Was macht denn für sich einen guten Roman aus?

00:08:40: Dirk Kurbjuweit: Es muss ein Sog entstehen und das mein ... damit

00:08:43: meine ich nicht sozusagen eine äußere Spannung

00:08:45: im Sinne von Krimi oder andere Spannung,

00:08:49: sondern einfach ein Sog, das man eintaucht,

00:08:52: hoch vor allem in eine Sprachwelt

00:08:54: und in eine, die Welt sozusagen sieht durch die Augen

00:08:58: des Schriftstellers, der Schriftstellerin

00:09:00: und das so ein so reinzieht, ein Sog entfacht,

00:09:05: dass man da nicht mehr raus will, dass man wie

00:09:08: in so einem Strudel dann immer weiter getrieben wird

00:09:11: und das ist für mich gute Literatur, daran

00:09:14: erkenne ich es, bin ich in dem Sog und fällt es mir

00:09:17: schwer, das Buch zuzuklappen oder nicht, aber wie gesagt,

00:09:20: es hat mit Spannung überhaupt nichts zu tun,

00:09:22: sondern nur mit Sprache, mit Sichtweisen,

00:09:25: mit Sprachbildern.

00:09:26: Boris: Jetzt haben wir sozusagen erfahren,

00:09:30: Ihren Berufsalltag, dann wann Sie schreiben,

00:09:33: wann lesen Sie denn dann noch?

00:09:35: Dirk Kurbjuweit: Ja, ich lese gern auf Reisen, weil ich Ihnen wieder auch

00:09:40: Reise noch und dann würde ich mal sagen, die

00:09:44: die letzte halbe Stunde oder manchmal auch Stunde

00:09:49: des Tages ist für mich für Literatur, für Lesen

00:09:52: reserviert, also ich mag eigentlich nicht einschlafen,

00:09:55: ohne noch in einem Roman gelesen zu haben.

00:09:58: Boris:Und das im Bett mit einem Hardcover oder am Tisch

00:10:02: ... oder mit einem E-Reader oder ... ?

00:10:05: Dirk Kurbjuweit: Also in einem E-Reader benutze ich gar nicht, also ich

00:10:08: möchte schon dieses Buch haben, auch Haptisch haben,

00:10:11: möchte auch das Umschlagen der Seiten hören und das

00:10:16: ... ist für mich auch ein sinnliches Erlebnis, ein

00:10:19: ein gebundenes oder ein gedrucktes Buch.

00:10:21: Also ja, ich leg mich ins Bett mit, ja oft mit einem Hardcover

00:10:26: und lese dann, bis ich so müde bin, dass es nicht weitergeht. [Boris lacht]

00:10:31: Boris:Ja, vielen herzlichen Dank für das Gespräch.

00:10:33: Zum Schluss wie immer, meine Frage, haben Sie ein Buch,

00:10:36: das Sie unseren Zuhörer*innen empfehlen können?

00:10:39: Dirk Kurbjuweit: Ja, ich habe gerade den Roman "Die Midaq -Gasse"

00:10:43: von Nagib Mahfuz gelesen, ein ägyptischer

00:10:47: Schriftsteller in Literaturnobelpreis gewonnen hat

00:10:52: und den ich bislang nicht gelesen hatte und da ist genau

00:10:54: das passiert. Nach drei Seiten war dieser Sog da,

00:10:58: ich war da drin in dieser Well, dieser Gasse in

00:11:03: in der Altstadt von Cairo in den 40er-Jahren

00:11:06: und es gibt gar nicht so eine durchgehende Handlung,

00:11:09: es gibt Geschichten von den Bewohnern dort und

00:11:13: das habe ich atemlos gelesen und dann auch zu lange

00:11:17: nachts, dann bin ich halt ein bisschen müder am Morgen,

00:11:20: aber da war der so ganz, ganz stark und das kann ich

00:11:24: einem Zuhörerinnen und Zuhörern empfehlen.

00:11:27: Boris: Ja, vielen herzlichen Dank, dass Sie zu Gast waren

00:11:29: und ich freue mich jetzt schon auf den heutigen Abend

00:11:32: mit Ihnen auf der Bühne.

00:11:33: Dirk Kurbjuweit: Ich freue mich auch, danke.

00:11:35: [Outro-Musik] [Boris spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck und Teil der Stadtstimmen,

00:12:05: dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Boris spricht]

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