Kurz und Schmerzlos mit ... Dr. Thomas Nußbaumer
Shownotes
Wie forscht man zu Volksmusik? Gehört Heavy Metal beim Krampusumzug zur Tradition? Wie gelangt ein österreichischer Forscher an Tonaufnahmen der Gesänge der Old Order Amish in Iowa? Und: Sind Hymnen heutzutage überhaupt noch relevant? Die Antworten auf diese und viele weitere spannenden Fragen gibt es in dieser Folge.
A.o. Univ.-Prof. Dr. Thomas Nußbaumer ist als Volksmusikforscher am Innsbrucker Standort der Universität Mozarteum Salzburg tätig und beschäftigt sich unter anderem mit musikalischer Tradition im Alpenraum. Im Zuge der Veranstaltung „O du mein Österreich – (K)eine Lobeshymne“ war er in der Stadtbibliothek zu Gast.
Thomas Nußbaumers Literaturtipp: Der Mann ohne Eigenschaften, Robert Musil https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/422 https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/13088 (Graphic Novel)
O du mein Österreich – (K)eine Lobeshynme im Anton Pustet-Verlag: https://pustet.at/de/buecher.cp/o-du-mein-oesterreich/1309
A.o. Univ.-Prof. Dr. Thomas Nußbaumer an der Universität Salzburg: https://www.moz.ac.at/de/personen/musikwissenschaft/thomas-nussbaumer
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00:00:07: [Intro-Musik] Boris: Hallo und herzlich willkommen zurück beim Vorwort "Kurz und Schmerzlos",
00:00:28: Heute mit Thomas Nußbaumer und mein Name ist Boris Schön.
00:00:33: Ja, Thomas, schön, dass du da bist.
00:00:36: Thomas: Hallo.
00:00:37: Boris: Hallo.
00:00:38: Ich würde dich als erstes kurz bitten, dich vorzustellen.
00:00:42: Thomas: Ja, mein Beruf ist Volksmusikforscher oder wie das Neuhochdeutsch heißt: Ethnomusikologe.
00:00:49: Ich bin in der Funktion am Innsbrucker Standort der Universität Mozarteum Salzburg tätig
00:00:57: und meine Aufgabenbereiche sind Feldforschung zur musikalischen Tradition hauptsächlich im Alpenraum,
00:01:04: aber auch darüber hinaus, Veranstaltung von Symbosien, von Konzerten, und Publikationen.
00:01:12: Boris: Die vielleicht ganz banale Frage, wie kamst du zu dieser Tätigkeit?
00:01:18: Ich habe Musikwissenschaft studiert und habe das Glück gehabt, zu einer Zeit Musikwissenschaft zu studieren,
00:01:26: wo man davon ausgegangen ist, dass man sich für alle möglichen Felder der Musik interessieren sollte
00:01:35: und bin dann zunächst einmal historisch geprägt gewesen, aber dann dank Manfred Schneider,
00:01:46: ein sogenanntes Akademiker-Training, Anfang der 90er-Jahre am Tiroler Volksliedarchiv absolviert,
00:01:53: bin dort mit spannenden Tonaufnahmesammlungen von Volksmusik aus Osttirol und Südtirol in Kontakt gekommen
00:02:05: und habe dann sehr bald einmal eigene Feldforschungen unternommen und wurde dann am Mozarteum angestellt in der Funktion auch.
00:02:15: Das hat mich eben interessieren begonnen.
00:02:19: Boris: Und Feldforschung bedeutet, du bist quasi vom Stanzlabend, oder ich weiß nicht, das wird keine Tiroler Musikkategorie sein vielleicht,
00:02:28: bis zum musikalischen Abend irgendwo unterwegs oder besuchst auch Umzüge oder wie kann man sich das vorstellen?
00:02:37: Thomas: Im Grunde genommen alles, ja.
00:02:40: Das beginnt mit der Kontaktaufnahme mit sogenannten Überlieferungsträger*innen und Menschen, die traditionelle Musik machen und Lieder singen
00:02:53: und umfasst Interviews bei denen zu Hause, wo dann auch musiziert wird,
00:03:01: bis hin zu Aufnahmesitzungen, wo mehrere Musizierende zusammenkommen,
00:03:08: natürlich auch die Dokumentation von öffentlichen Veranstaltungen und ein besonderes Steckenpferd ist ja die Fasnacht,
00:03:16: und zwar eben die Fasnacht als musikalisches und klangliches Ereignis
00:03:21: und da ist praktisch alles, was zur Feldforschung gehört vom Einzelinterview bis zum großen Umzug enthalten.
00:03:28: Boris: Inwieweit ist denn Authentizität in diesem Bereich eine relevante Kategorie,
00:03:34: oder gibt es da authentisch/nicht authentisch oder wie kann man das einstufen, weil du vorher,
00:03:38: ich habe jetzt ein Begriff vergessen, Bewahrer, glaube ich, oder?
00:03:43: Thomas: Überlieferungsträger, ja.
00:03:45: Boris: Überlieferungsträger genannt hast.
00:03:48: Thomas: Ja, das mit der Authentizität ist natürlich so eine Sache.
00:03:54: Ich meine, Authentizität gibt es rein objektiv betrachtet gar nicht.
00:04:00: Das ist eine subjektive Kategorie, wenn man sie auf Kultur oder in dem Fall auf Volksmusik anwendet.
00:04:07: Im Grunde genommen ist alles authentisch, was Menschen machen.
00:04:12: Authentizität als Qualitätsmerkmal ist aber etwas, was sozusagen von bottom up gesetzt wird.
00:04:22: Es gibt also Deutungsinstanzen, zum Beispiel im Volksmusikpfleger oder manchmal auch Forscher
00:04:27: die sagen ja, die und die Tradition ist alt und authentisch und die andere ist weniger wertvoll,
00:04:32: weil sie jung ist.
00:04:33: Das sind alles subjektive Kriterien.
00:04:35: Ich versuche aber da, objektiv vorzugeben.
00:04:39: Boris: Ist das dann sozusagen anhand von Zeitzeugen oder woran kann man das festmachen,
00:04:43: ob etwas ein altes Brauchtum ist oder ein neuerer Brauch?
00:04:48: Wenn es letztes Jahr aufgetaucht ist, dann ist es vielleicht sichtbarer,
00:04:54: aber ob was seit, in welchen Kategorien wir da sprechen,
00:04:58: 200, 300 Jahren schon existiert oder seit 30 Jahren oder so,
00:05:01: oder wo sind da die Grenzen oder woran macht man das fest?
00:05:05: Kann man das so sagen überhaupt?
00:05:07: Thomas: Grundsätzlich geht man bei solchen Fragen ja historisch vor.
00:05:10: Man schaut, welche Quellen gibt es für bestimmte Stücke oder für bestimmte Traditionen
00:05:17: und sehr oft sind es im Bereich der Volkskultur mündliche Quellen.
00:05:23: Das heißt, man hat schriftlich sehr wenig.
00:05:27: Man interessiert sich ja eigentlich für Volksmusik und Volkskultur erst seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts.
00:05:35: Das heißt, was vorher war, entzieht sich zum Teil auch der heutigen Begrifflichkeit.
00:05:41: Und im Grunde genommen ist Tradition etwas Wandelbares.
00:05:45: Also die Lieder, die man 1820 gesungen hat,
00:05:50: als Joseph Sonnleithner im Jahr 1819 so eine große Sammelaktion in ganz Österreich initiiert hat,
00:05:58: unterscheidet sich völlig von dem, was man um 1900 gesungen hat oder was man heute singt.
00:06:05: Auch die Darbietungsweise für Musik verändert sich.
00:06:10: Das kann man sehr gut am Vergleich historischer Tonaufnahmen mit heutiger Praxis ermessen.
00:06:17: Also Tradition verändert sich und darf sich auch verändern.
00:06:21: Was vielleicht immer ein wichtiger Punkt ist bei Traditionen, sie knüpfen oft an Vorhergehendes an,
00:06:28: aber es gibt immer wieder mal innovative Schübe, es gibt auch komplette Änderungen und das ist spannend.
00:06:34: Boris: Ich meine ich hab da jetzt für mich so ein Bild, z.B. Krampusumzüge, die auch musikalisch oft schon eher so mit etwas technoider Musik unterlegt sind.
00:06:43: Das ist natürlich eher eine neuere Entwicklung, hätte ich jetzt als Laie gesagt. [lacht]
00:06:47: Aber kann mir vorstellen, dass natürlich viele innovative Sachen passieren und das Ganze sich durchmischt.
00:06:53: So wie es in der Ethnologie generell ein Thema ist, woher kommen Sachen und wie verlaufen sie und wo kommt es neu dazu?
00:07:01: Thomas: Die Grenzen zwischen sogenannter "Volkskultur" und sogenannter "Hochkultur" und sogenannter "Popkultur" sind ja fließend.
00:07:10: Das sind ja eigentlich Kategorien, die sich in unseren Köpfen manifestiert haben, aber in der Praxis bezieht man Anleihen von überall her.
00:07:19: Und es macht ja durchaus Sinn, dass man Heavy Metal zum
00:07:23: Kampus-Umzug spielt. Man will ja etwas ganz Wildes und Lautes darstellen und was
00:07:28: eignet sich da besser. - Boris: Jetzt habe ich auf der Website des Mozarteums gesehen,
00:07:32: dass du auch die Musik der Old Order Amish in Iowa beforscht hast und
00:07:40: dokumentiert hast. Jetzt erstens einmal, wer sind überhaupt die Old Order Amish?
00:07:44: Thomas: [korrigiert Aussprache] Amish - Boris: Amish. Tschuldigung. Ja. Und wie kam es dazu? - Thomas: [lacht] Ja, das wäre jetzt
00:07:51: fast eine sehr lange Geschichte, aber nur ganz kurz. Also die Old Order Amish - oder Amischen -
00:07:56: sind eine religiöse Gruppe, die kommen aus der Täufer-Bewegung, die ja so um 1520
00:08:09: entstanden ist. Die Amischen gibt es aber erst seit 1693, benannt sind sie nach
00:08:14: Jakob Amman, das war ein Schweizer, also aus dem
00:08:19: Kanton Bern, der diese Gruppe irgendwie mit seinen Ideen
00:08:25: geformt hat. Amish gibt es heute nur noch in Nordamerika, speziell in den USA.
00:08:31: Ihr Kennzeichen ist, dass sie keinen elektrischen Strom zu Hause verwenden, also
00:08:38: nicht am öffentlichen Stromnetz sind, dass sie anstatt mit Autos, mit Baggies
00:08:42: durch die Gegend fahren, dass sie die Telekommunikation vermeiden, dass sie
00:08:47: schmucklos einheitlich gekleidet sind. Also sie folgen ganz konsequent der Bibel
00:08:54: und dem Gebot jede Form von Luxus zu vermeiden. - Boris: Und wie kam es dazu, dass du die
00:09:00: beforscht hast? - Thomas: Na, ich habe einen Kollegen in Iowa, der war damals Professor an der
00:09:05: Iowa State University in Ames, Jin Tao, und den habe ich eigentlich kennengelernt
00:09:09: durch meine Feldforschung zum Thema Volksmusik und Nationalsozialismus. Und
00:09:15: er hat mich aber eigentlich damals 2005 nach Iowa eingeladen, weil dort ein
00:09:21: Carnival-Symposiun war. Also ich habe dort über "Carnival in der Alps" referiert.
00:09:27: Und er hat mir dann, also sozusagen vor dem Symposium, auf ein paar hundert
00:09:32: Kilometer weiter in den Südosten entführt, wo er mit Amischen seit Jahrzehnten
00:09:37: zusammenarbeitet, weil die sprechen ja bei Pennsylvania-Deutsch. Das ist ein weiteres
00:09:42: sehr wichtiges Merkmal. Und er war eben Professor für German Language und hat
00:09:47: immer seine Studierenden dort hinbracht, damit sie sehen, dass man nicht nach
00:09:52: Deutschland fahren muss, um Deutsch zu hören, sondern dass das quasi von der
00:09:56: Haustür hat. Und er hat sie überreden können oder überzeugen können, dass sie
00:10:01: sich von mir beim Singen aufnehmen lassen. Also wir haben weltweit die meisten
00:10:07: amischen Tonaufnahmen, weil normalerweise lassen sich die ja nicht aufnehmen.
00:10:12: Und im Moment entsteht gerade ein Buch drüber. - Boris: Und wie klingen die Gesänge? Ist das
00:10:18: klassisch, oder wie kann man sich das vorstellen? - Thomas: Ja, also das sind sehr
00:10:22: melismatische Gesänge. Das heißt also pro Wortsilbe sehr viele Töne, bis zu
00:10:28: neun, manchmal sogar zwölf Töne. Und die Tradition beruht eigentlich auf der
00:10:34: protestantischen Choral-Tradition. Das heißt, es sind also melismatisch
00:10:38: gesungene Choräle, die sehr sehr langsam gesungen werden. Deshalb
00:10:45: bezeichnen die Amischen das auch aus langsame Weisen. Und die bilden aber
00:10:50: einen Kontrast zu den "Fast Tunes". Also das sind dann deutsche amerikanische
00:10:55: englische, geistliche Lieder. Und natürlich gibt es dort auch den Volkslieder, Kinderlieder,
00:11:01: Wiegenlieder. Also wir haben seit 2005 in mehrere Exkursionen sehr viel davon
00:11:09: aufgenommen und viel Material gesammelt. - Boris: Ja, sehr spannend. Jetzt bist du heute zu
00:11:14: Gast in der Stadtbibliothek, weil wir einen Abend haben wo es um das Thema "Hymnen"
00:11:19: geht. Es geht auch um anlässlich eines Buches "O du mein Österreich" um die
00:11:24: Landeshymne in Österreich. Für dich als Ethnologe, wenn ich die Frage so
00:11:29: stellen darf, was haben denn Hymnen in der heutigen Zeit für eine Bedeutung oder
00:11:35: für eine Relevanz? Weil mir kommt es als Laie immer vor, es ist eher was aus der
00:11:39: Vergangenheit. - Thomas: Ja, das ist immer eine sehr merkwürdige Sache mit den Hymnen.
00:11:44: Zu meinem großen Erstaunen habe ich von einem Vorfall in Niederösterreich
00:11:48: gelesen, im Dezember letzten Jahres, also Dezember 2024. Dort wurde einem
00:11:54: Ukrainer nachträglich die österreichische Staatsbürgerschaft wieder
00:11:58: aberkannt, weil er sich geweigert hat bei der Verleihungsfeier die österreichische
00:12:04: Bundeshymne zu singen. Die Argumentation war offensichtlich, könne er sich also
00:12:11: mit Österreich nicht identifizieren an, mit unseren Werten nicht und so weiter
00:12:15: und deshalb sei eben da, sofort die Staatsbürgerschaft abzuerkennen.
00:12:20: Wenn ich andererseits dran denkt, Bundeshymnen nimmt man wahr bei Sportübertragungen,
00:12:25: bei Fußballländerspielen, da stehen die da, manche singen, manche singen falsch mit,
00:12:31: manche singen richtig mit. Ja, es erzeugt im Moment halt so ein Gefühl von
00:12:36: Gemeinschaft, von nationaler Gemeinschaft, also Patriotismus. Das ist
00:12:41: eigentlich so irgendwo der Zweck von Bundeshymnen, auch Landeshymnen, wobei
00:12:48: natürlich ja immer die Frage ist, wer sich davon angesprochen fühlt.
00:12:54: So eindeutig ist ja das überhaupt nicht. - Boris: Jetzt wären wir am Schluss unseres Gesprächs
00:13:01: und ich wollte noch fragen, hast du ein Buch, das du unseren Zuhörer*innen empfehlen
00:13:07: kannst? - Thomas: Ja, ich habe ein Buch, das wird immer wieder als schwer lesbar
00:13:14: klassifiziert und es gibt viele, die sich nicht darüber trauen, weil das so dick ist
00:13:20: und es hat auch zwei Bände und es ist ein Roman, der nie fertig gestellt wurde.
00:13:28: Boris: [lacht] Ich habe schon eine Vermutung. - Thomas: Es ist "Der Mann ohne Eigenschaften". [Anm. d. Red.: von Robert Musil]
00:13:31: Boris: Sehr gut, ja, es ist ein tolles Buch. Es gibt in Innsbruck einen Buchhändler,
00:13:36: den [Name unverständlich], der sagt, er hat es schon zweimal gelesen.
00:13:41: Thomas: Kann ich nachvollziehen, weil es ist wirklich, es ist faszinierend.
00:13:46: Man wird in diese Geschichten hineingezogen und ich denke, es passt da irgendwie zu dem Thema
00:13:52: Hymnen als nationale Symbole. Es geht ja eigentlich, ich meine, der Roman steht
00:13:58: halt einfach irgendwo für so ein bestimmtes Österreich-Bild, das man hat.
00:14:02: Es ist da sehr viel von Mentalität oder von dem Spirit einfach drin.
00:14:06: Boris: Ja, Thomas, vielen Dank für das Gespräch. Danke, dass du Zeit gehabt hast
00:14:10: und ich freue mich auf den heutigen Abend. - Thomas: Danke auch, Boris.
00:14:36: [Boris spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck und Teil der Stadtstimmen,
00:14:42: dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Boris spricht]
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