Kurz und Schmerzlos mit ... Paul Scheibelhofer
Shownotes
In der heutigen Folge von Kurz und Schmerzlos spricht Boris mit Paul Scheibelhofer, Assistenzprofessor am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck. Er arbeitet unter anderem im Bereich der kritischen Männlichkeits- und Väterforschung. Was ist eigentlich „männlich“? Welche Rollen nehmen Männer* in der heutigen Gesellschaft ein? Haben sich diese im Lauf der Zeit geändert? Und wie trägt die Männlichkeitsforschung zum Thema Gleichberechtigung der Geschlechter bei? Paul Scheibelhofer trat zusammen mit der bildenden Künstlerin Katharina Cibulka zum „Solange-Projekt“ in der Stadtbibliothek Innsbruck auf.
Pauls Buchtipp: „Warum Feminismus gut für Männer ist“, Jens van Tricht https://www.aufbau-verlage.de/ch-links-verlag/warum-feminismus-gut-fur-manner-ist/978-3-96289-055-1
Paul Scheibelhofer an der Universität Innsbruck: https://www.uibk.ac.at/iezw/mitarbeiterinnen/persoenliche-seiten-mitarbeiterinnen/scheibelhofer/index/vita.html
Pauls Buchtipp: „Warum Feminismus gut für Männer ist“ von Jens van Tricht https://www.aufbau-verlage.de/ch-links-verlag/warum-feminismus-gut-fur-manner-ist/978-3-96289-055-1
Das Solange-Projekt: https://www.solange-theproject.com/ „Let’s Go Equal: The Solange Project“ von Katharina Cibulka https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/111699 https://www.solange-theproject.com/netze/publikation/
svorwort #popcast #bibcast #stadtstimmen
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00:00:00: [Stimme moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchen führen. [Stimme moduliert] [Intro-Musik]
00:00:07: Boris: Hallo und herzlich willkommen zurück beim "Vorwort - Kurz und Schmerzlos", heute mit Paul Scheibelhofer.
00:00:29: Mein Name ist Boris Schön. Paul, super, dass du da bist. Paul: Hallo.
00:00:35: Boris: Als erstes würde ich dich einfach mal bitten, dass du dich kurz vorstellst.
00:00:40: Paul: Ja, ich bin Assistenzprofessor am Institut für Erziehungswissenschaft der Uni Innsbruck
00:00:47: und da im Bereich Kritische Geschlechterforschung zuständig.
00:00:51: Und nochmal fokussierter ist das Thema, mit dem ich mich die meiste Zeit beschäftige, Männer, Männlichkeiten,
00:00:59: jung, alt, Väter in unterschiedlichsten Lebenslagen.
00:01:03: Boris: Auf der Website von der Universität ist gestanden, dass du im Bereich der kritischen Männlichkeitsforschung
00:01:09: und Väterforschung unter anderem tätig bist. Jetzt stellt sich für mich einfach die ganz banale Frage,
00:01:16: was heißt das jetzt genau? - Paul: Ja, da sind viele verwundert, dass es das auch gibt.
00:01:22: Die kritische Männlichkeitsforschung geht mal davon aus, dass wir immer noch nicht in einer Gesellschaft leben,
00:01:29: wo Männer und Frauen gleichberechtigt sind, sondern dass Männer mehr Macht, mehr Ressourcen,
00:01:35: auch in unserer Gesellschaft haben als Frauen.
00:01:38: Und sie fragt jetzt, wie wirkt sich dieses Ungleichverhältnis auf Männer aus, auf ihr Leben, auf ihre Wünsche, ihre Ziele,
00:01:47: auf ihre Ideen davon, was es bedeutet, ein Mann zu sein, aber auch in die andere Richtung fragen wir,
00:01:53: wie das, was die Männer tun, diese ungleichen Geschlechterverhältnisse stärken und reproduzieren oder vielleicht auch verändern können.
00:02:03: Boris: Also es geht hier nicht nur um den Mann als Täter, sondern auch um die Probleme, die ein Mann durch seine Männlichkeit hat?
00:02:11: Paul: Ja, also leider ist es schon so, wenn wir uns zum Beispiel das Thema Gewalt anschauen, dass Männer doch überdurchschnittlich oft als Täter vorkommen.
00:02:20: Aber das ist ein Aspekt der sozialen Realität und die ist sehr breit gefächert, wenn wir uns Geschlechterverhältnisse anschauen.
00:02:27: Nein, es geht auch darum, warum zum Beispiel T-Shirts von Jungs öfter die Tiere bedruckt haben, die auf die Jagd gehen
00:02:36: und die T-Shirts von Mädchen öfter die Tiere bedruckt haben, die Gejagte sind.
00:02:41: Also es geht darum zu verstehen, wie funktioniert das eigentlich, dass wir zum Mann werden in dieser Gesellschaft.
00:02:48: Und da sind wir oft Täter in manchen Belangen, aber eben auch Opfer, manchmal Mitspieler,
00:02:54: und manchmal sind wir aber auch Sand in Getriebe, halten uns überhaupt nicht an die Regeln, die so gelten für Männer und da wird es dann auch spannend.
00:03:02: Boris: Kannst du in irgendeiner Form kurz definieren was "Männlichkeit" ist?
00:03:06: Oder ist es das ganze Spektrum, das du jetzt da ein bisschen auch angerissen hast schon?
00:03:10: Paul: Also ich würde sagen, es gibt keine grundsätzliche Eigenschaft, die typisch männlich ist, jetzt per se.
00:03:23: Die ganze moderne Forschung zeigt eigentlich, dass wir nicht in den Körpern irgendwie auf die Suche gehen können
00:03:32: und da die eine klare Seite an Eigenschaften haben, DAS bedeutet "Männlichkeit".
00:03:38: Und wenn wir den Körper nicht als die Antwort haben, was bedeutet eigentlich "Männlichkeit", dann sind es eigentlich wir Menschen, wir als Gesellschaft.
00:03:48: Das heißt, was es bedeutet, ein Mann zu sein, das ist das, was wir als Gesellschaft definieren.
00:03:55: Das ändert sich, das ist nicht zu jeder Zeit gleich, zum Beispiel wenn wir unsere eigenen Großväter uns anschauen, deren Männlichkeitsnormen, deren Ideen, was ein Mann zu sein hat,
00:04:05: unterscheidet sich ja in der Regel von uns.
00:04:08: Also offensichtlich in einer Menschheitsgeschichtlich recht kurzen Periode von sagen wir mal 50 bis 70 Jahren, gibt es da schon recht viel Veränderung.
00:04:16: Also ist es wohl die Gesellschaft, die sagt, was männlich ist und was nicht.
00:04:21: Und da gibt es schon ein paar Eigenschaften, die immer wieder kehren, also sowas wie eher aktiv als passiv, eher selbstsicher als zweifelnd.
00:04:32: Deswegen auch eher nicht Hilfe suchend, sondern eher man-splainend, anderen die Welt erklärend.
00:04:38: Also da gibt es schon Eigenschaften, die wir immer wieder finden, in Büchern, in Texten, in Theaterstücken, in Filmen.
00:04:46: Da sieht man, was wir derzeit meinen, was Männer so ausmacht.
00:04:49: Boris: Jetzt habe ich da eine Frage:
00:04:51: Du bist ja heute Abend bei uns auf der Bühne der Stadtbibliothek zu Gast im Zuge der Präsentation des "Solange"-Projekts von Katharina Cipulka.
00:05:02: Und ergänzt ihr sozusagen diesen Part von männlicher Perspektive.
00:05:09: Bei dem Projekt von ihr geht es ja quasi um das Erreichen von Gleichheit.
00:05:15: Wie kann die Männlichkeitsforschung da beitragen?
00:05:19: Kann sie Sachen besser erklären, Lösungsvorschläge anbieten?
00:05:24: Paul: Ja, ich glaube schon. Wir können einerseits diese Strukturen uns anschauen, die dazu führen, dass sich so wenig und so langsam nur ändert.
00:05:37: Oder teilweise sogar Rückschritte.
00:05:39: Also es hat gerade der Rechnungshof ausgerechnet, dass die eh schon sehr geringe Anzahl von Männern, die in Karenz gehen,
00:05:48: dass das im Vergleich zu 2020 - damals waren knapp unter 5 Prozent 2020 -, dass das noch mal zurückgegangen ist.
00:05:56: Also wir können mit unseren Theorien darüber, was Männlichkeit ausmacht und was dann auch abgelehnt wird, zum Beispiel unbezahlte Arbeit mit Kindern,
00:06:07: das passt halt offensichtlich immer noch nicht in unser Bild von
00:06:11: was ein erfolgreicher Mann so tut den ganzen Tag und die ganze Nacht. Also unsere Theorien können
00:06:16: glaube ich einerseits uns Hinweise geben, warum ändert sich da so wenig und so langsam und
00:06:23: da hilft es schon einen fokussierten Blick auf Männer zu richten. Trotzdem mit den Theorien der
00:06:29: Geschlechter und Forschung und der feministischen Forschung, aber da wurde oft verständlicherweise
00:06:34: nicht so klar auf Männer geschaut und was wir aber auch versuchen können ist herauszufinden,
00:06:41: ja wo gibt es Veränderungen, wo gibt es denn um beim Beispiel zu bleiben so etwas wie "Caring
00:06:46: Masculinity", also eine Männlichkeit, die sich gerade nicht durch Konkurrenz, Abwertung etc.
00:06:51: sondern durch Sorge, Pflege, Solidarität auszeichnet. Das heißt wir können glaube ich schon auch in
00:06:56: der kritischen Männlichkeitsforschung diese Wege aufzeigen, wo Veränderungen passieren und
00:07:04: vielleicht auch unterstützen diese Prozesse halt zu stärken. - Boris: Jetzt habe ich noch eine persönliche
00:07:13: Frage, wie bist du auf das Thema gekommen oder wie hast du dich für diese ... weil du musst ja irgendwie
00:07:18: studiert haben bevor du begonnen hast es zu unterrichten, wie war deine biografische Geschichte
00:07:24: dazu? - Paul: Ja also irgendwie bin ich fast zufällig während dem Soziologiestudium in die Geschlechterforschung
00:07:32: reingerutscht. Das hat begonnen Ende der 90er-Jahre und damals waren alle Seminare eigentlich
00:07:39: Frauenforschung, wenn es um Gender Studies ging. Das habe ich aber trotzdem extrem interessant
00:07:46: gefunden und nach ein paar Jahren habe ich aber gemerkt, dass meine meistens weiblichen
00:07:52: Mitstudentinnen, die hatten dann noch so einen Benefit, der mir gefehlt hat und zwar diese
00:07:57: persönliche Involviertheit und ich kann mich erinnern, da war ich gerade auf Auslandsjahr in Amsterdam
00:08:03: und ich weiß sogar noch welches Buchgeschäft, da habe ich mich mal auf den Weg gemacht und
00:08:08: habe mir gedacht, gibt es eigentlich irgendwie Geschlechterforschung mit Fokus auf Männer? Und
00:08:12: natürlich gibt es das, wenn man danach sucht und ich habe mir das dann im Selbststudium eigentlich
00:08:16: beigebracht, weil meine ganze Studienzeit gab es keine einzige Lehrveranstaltung zum Thema
00:08:21: Männlichkeit und habe es dann eigentlich begonnen zu unterrichten, ohne es jemals selbst besucht
00:08:27: zu haben und da hat sich glücklicherweise ein bisschen was geändert mittlerweile und
00:08:33: ja, freue mich da auch, ein Teil davon zu sein, dass die Männlichkeitsforschung mittlerweile auch
00:08:38: ein bisschen breiter auf den Universitäten unterrichtet wird. - Boris: Gab es im Zuge deiner Forschungstätigkeit
00:08:45: oder deines Anlesens an Wissen einmal so einen wirklichen "Wow, Aha"-Effekt wo du gedacht hast,
00:08:51: darüber habe ich so nie nachgedacht? - Paul: Ich glaube, das ist echt oft passiert. Also ich
00:08:59: finde gerade die Geschlechterforschung, wenn wir uns darauf einlassen, dann lässt sie uns nicht
00:09:04: kalt und man geht aus so einer Auseinandersetzung mit Geschlechterforschung, im besten Fall nicht
00:09:10: als die gleiche Person raus, wie man hineingegangen ist. Das ist anders als wenn ich irgendwie Texte
00:09:15: über geografische Phänomene, was weiß ich was, lese, denke ich mir mal. Also zumindest bei mir ist es so,
00:09:24: dass es oft Momente gegeben hat, die so eine Mischung dann oft sind aus, vielleicht ein
00:09:31: bisschen ertappt werden. "Aha, das habe ich gar nicht so erkannt." Da bin ich vielleicht auch selbst
00:09:36: Teil von irgendwelchen im Endeffekt eigentlich problematischen Strukturen und aber auch dann oft so,
00:09:45: na ja, das ist vielleicht so ein bisschen pathetisch, aber so auch befreit werden von solchen Selbstverständlichkeiten.
00:09:53: Also diese grundsätzliche Perspektive, dass die Art, wie wir leben, nicht selbstverständlich ist,
00:10:01: dass wir das eigentlich produzieren, diese Grundbeobachtung, die hat mich irrsinnig vom
00:10:10: Sessel gehauen. Ich hatte die ganze Zeit schon während meiner Jugend diese Vermutung, dass
00:10:19: diese Welt nicht so sein muss und dass dann aber in so einer soziologischen Perspektive mit
00:10:26: Fokus auch auf Geschlecht auch so gezeigt bekommen: "Nein, das lässt sich anders machen." Das war auf
00:10:35: vielen Ebenen beeindruckend und das ist ein andauernder Prozess, das herauszufinden,
00:10:43: was das eigentlich alles bedeutet. - Boris: Ja, Paul, danke vielmals für diese total
00:10:47: spannenden Informationen und dieses Gespräch. Zum Abschluss habe ich wie immer die Frage,
00:10:52: hast du ein Buch, das du unseren Zuhörer*innen empfehlen kannst? - Paul: Ja, also wenn man sich mit
00:10:59: Männlichkeit auseinandersetzen möchte, dann empfehle ich derzeit das Buch "Warum
00:11:04: Feminismus gut für Männer ist" von Jens van Tricht. Das ist ein toller Aktivist, der in
00:11:11: Amsterdam super Dinge macht, um irgendwie progressive Männlichkeiten voranzubringen
00:11:17: und der hat viel seines Wissens, was er sich angeeignet hat, aber auch das, was er im
00:11:24: Zuge dieser ganzen Workshops, die er da seit Jahren macht und anderen Projekten irgendwie so
00:11:29: generiert hat dieses Wissen, hat er zusammengefasst in diesem teilweise witzigen, teilweise auch
00:11:34: bestürzt machenden und wirklich gut zu lesenden Buch "Warum Feminismus gut für Männer ist". - Boris: Vielen herzlichen Dank
00:11:42: auch für diesen Tipp und ich freue mich auf eine spannenden Abend heute. - Paul: Danke. [Outro-Musik]
00:12:12: [Boris spricht] Das Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck und Teil der Stadtstimmen, dem
00:12:18: Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Boris spricht]
00:12:20:
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