HerbstLeseFest: Die Lotterie von Shirley Jackson

Shownotes

Das HerbstLeseFest vom S’Vorwort ist in vollem Gange! Für diese Folge haben unsere Co-Hosts Shelly und Jaci „das ganz große Los gezogen“: Im Zuge der Lesechallenge haben die beiden die Kurzgeschichte „Die Lotterie“ der U.S.-amerikanischen Kultautorin Shirley Jackson gelesen, um sie für euch zu besprechen. Und nein, die Wahl der Lektüre wurde natürlich nicht auf Grundlage des Autorinnennamens gewählt … oder?

Jedenfalls: Wenn ihr’s gern unheimlich mögt, dann liegt ihr mit dieser Geschichte – und der heutigen Folge – genau richtig! Lasst euch passend zur Jahreszeit inspirieren und taucht mit uns zusammen in die beklemmende Welt der Shirley Jackson ein. Nebenbei erfahrt ihr, was Slipstream ist, wie die Kurzgeschichte bei Veröffentlichung ankam, und viele weitere spannende Fakten rund um Shirley Jackson.

Achtung: Diese Folge enthält massive Spoiler für „Die Lotterie“.

Bleibt bis zum Ende der Folge dran, um zu erfahren, welche Lesechallenge als nächstes auf euch wartet.

Ihr findet, ein Autorinnen-Duo namens "Shelly Jaci" sollte demnächst auch mal was veröffentlichen? Oder vielleicht möchtet ihr uns ja auch einfach mitteilen, wie euch „Die Lotterie“ gefallen hat? Schreibt uns auf post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at , Instagram (stadtbibliothek.innsbruck) oder Facebook.

„Die Lotterie“ und weitere Werke von Shirley Jackson gibt’s auch in der Stadtbibliothek:

https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/108901 https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/advanced_search?queryParamSelect_0=wemi_pe_name&query_0=%22Jackson%2C%20Shirley%22&queryCombinationParam_0=AND

svorwort #popcast #bibcast #gemeinsambesserlesen #stadtstimmen

Transkript anzeigen

00:00:00: [moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchen führen. [moduliert]

00:00:06: [Intro-Musik] Jaci: Hallo und herzlich willkommen zum Vorwort, dem Podcast der Stadtbibliothek Innsbruck.

00:00:26: Neben mir sitzt meine liebe Kollegin, die Shelly und ich bin die Jaci.

00:00:31: Und wir machen heute die dritte Folge im Zeichen des Herbstlesefestes bei uns in der Stadtbibliothek.

00:00:40: Letztes Mal haben unsere Kolleginnen die Christina und die Pia über das Buch "Pavillon 44" und Thomas Sautner geredet.

00:00:48: Shelly: Und zwar das Gewinnspiel, wie du gerade schon richtig gesagt hast, haben ja die Christina und die Pia in der letzten Folge das Buch von Thomas Sautner gelesen.

00:00:59: Und das haben wir ja auch verlost. Und bis heute war es möglich, dass man da einsendet.

00:01:06: Und danke für die zahlreichen Einsendungen. Wir werden jetzt im Laufe der nächsten Tage die Gewinnerin oder den Gewinner benachrichtigen.

00:01:14: Jaci: Genau. Und jetzt spannen wir euch nicht mehr länger auf die Folter.

00:01:20: Und ihr wisst es eh schon, wer die letzte Folge gehört hat, weiß, dass es heute um Shirley Jacksons "Die Lotterie" geht.

00:01:28: Da haben wir also das ganz große Los gezogen.

00:01:32: Shelly: Badumm-tss.

00:01:33: Danke, danke. Die ganze Woche jetzt an diesen Witz gefeilt.

00:01:37: Shelly. So lustig.

00:01:38: Überhaupt nicht einstudiert oder so. [Jaci lacht]

00:01:40: Aber noch ein kurzer Fun Fact, den mir schon bereits vor der Lektüre aufgefallen ist, dass Shirley Jackson, also der Name der Autorin, quasi als "Shelly" und "Jackie" (Red.: Jaci) funktionieren könnte.

00:01:55: Also aus Shirley kann man "Shelly" machen und wenn ich mir dann das y ausleihe, kann man aus Jackson "Jackie" machen.

00:02:01: Und ich glaube, das ist ein Easter Egg, was die Christina und die Pia beabsichtigt haben.

00:02:05: Shelly: Bestimmt. Jaci: Genau. Und meine Verschwörungstheorien fallen jetzt an zu rollen.

00:02:10: Shelly: Ich bin absolut begeistert von deiner Kreativität.

00:02:13: Jaci: Danke, danke.

00:02:14: So, damit endet meine kreative Begrüßung, für die ich alle meine Gerhinzellen aufgewendet habe.

00:02:20: Und genau, Shelly, erzähl uns doch mal was über Shirley Jackson.

00:02:25: Shelly: Sehr gern.

00:02:26: Also, wie schon gesagt, die Autorin in der Kurzgeschichte heißt Shirley Jackson.

00:02:30: Im vollen Namen heißt sie Shirley Hardie Jackson.

00:02:34: Sie wurde geboren Anfang des 20. Jahrhunderts, eigentlich gar nicht.

00:02:39: Eigentlich 1916, das ist gar nicht mal so weit Anfang.

00:02:42: Aber gut, 1916. Gestorben ist sie schon 1965.

00:02:47: Und sie war verheiratet mit einem Literaturkritiker und Dozenten.

00:02:53: Der hieß Stanley Edgar Hyman.

00:02:55: Und der hat sie auch sehr unterstützt in ihrem eigenen Studium, weil sie hat trotz Ehe und vier Kindern dann auch noch studiert.

00:03:03: Und hat 50 Prozent ihres Lebens, das ist ein Zitat von ihr, für die Schreiben aufgewendet.

00:03:09: Aber für sie war immer klar, die Mutterrolle und die Rolle als Ehefrau steht an erster Stelle.

00:03:14: Und die Schreiben hat sie aber hinten angestellt.

00:03:16: Genau, für das hat sie aber ziemlich viel und ziemlich gut geschrieben.

00:03:21: Zum Inhalt von dem, was wir gelesen haben, "Die Lotterie".

00:03:25: Wie gesagt, eine Kurzgeschichte, die hat so um die 20 Seiten,

00:03:28:  man ist gleich mal durch mit dem Ding.

00:03:31: Jaci: Genau, also ich hab das [räuspert sich] gestern erst gelesen.

00:03:36: Und war eben in einer halben Stunde, mit tiefer Lektüre in einer halben Stunde fertig.

00:03:43: Und ganz kurz eben, was passiert auf diesen 20 Seiten?

00:03:48: Shelly: Darf ich noch ganz kurz -

00:03:50: Jaci: Bitte. Shelly: Dich in die Pfanne hauen.

00:03:52: Jaci: Oh Gott.

00:03:53: Shelly: Ich hätte das Buch auch gerne gelesen.

00:03:56: Ich habe es mir nur leider vorlesen lassen als Audiobook.

00:04:00: Weil die gute Frau Jaci hat es mit in den Urlaub genommen.

00:04:04: Und wir haben nur ein Exemplar in der Bib gehabt. [Shelly lacht]

00:04:06: Jaci: Nein, nein, nein, nein, nein.

00:04:08: Die Christina

00:04:09: hat zu mir gesagt, wir haben es auf Deutsch und auf Englisch.

00:04:11: Und ich hab es auf Deutsch genommen.

00:04:13: Und anscheinend ist es Englische aber nicht da, irgendwie. [beide lachen]

00:04:17: Ich nehme jegliche Schuldzuweisung von mir.

00:04:21: Ich kann nichts dafür.

00:04:23: Shelly: Okay.

00:04:24: Jaci: Ja, das tut mir trotzdem leid. Shelly [lacht]: Danke.

00:04:26: Jaci: Okay, zurück zum Inhalt.

00:04:29: Es beginnt alles in einer recht harmonischen, friedlichen, gar idyllischen Stimmung auf einem Dorfplatz.

00:04:37: In einem Dorf, zu dem wir keine näheren Informationen bekommen.

00:04:42: Wir wissen auch nicht, wo es spielt, also in welchem Land.

00:04:45: Es gibt eigentlich keine Zuschreibungen. Durch Recherche

00:04:48: habe ich herausgefunden, dass es sich um ein amerikanisches Dorf handelt.

00:04:53: Und eben alle sind sehr fröhlich eigentlich, bis eine schwarze Kiste auf diesen Dorfplatz gebracht wird.

00:05:02: Und man bekommt schon mit durch die Figuren, dass es, dass jetzt ein Ereignis kommt.

00:05:08: Und dass alle eben sich versammelt haben für dieses Ereignis.

00:05:12: Und dann wurde diese schwarze Kiste auf den Dorfplatz gebracht und alle werden auf einmal nervös.

00:05:18: Das würde diese Kiste eben für Unheil sorgen oder eben ein schlechtes Omen sozusagen sein.

00:05:25: Die Männer und Frauen stehen zusammen auf diesem Dorfplatz mit all ihren Kindern.

00:05:32: Und es gibt dann einen Mann, der diese, diese Zeremonie sozusagen leitet.

00:05:37: Das ist der Mr. Summers.

00:05:40: Genau. Und dieser Mr. Summers bringt ihnen diese Kiste und beginnt diese Zeremonie.

00:05:46: Wobei immer wieder von der Erzählstimme angemerkt wird, dass die Zeremonie sehr reduziert ist,

00:05:53: dass niemand eigentlich mehr genau weiß, was für Sätze man das sagt oder was für Lieder da gesungen werden.

00:05:59: Also es ist sehr reduziert worden.

00:06:01: Und es geht eigentlich nur noch um diese Kiste, die bei genauerem Hinsehen auch sehr schäbig ist.

00:06:06: Und sozusagen das ganze Ritual ein bisschen unter den Scheffel stellt, finde ich, meiner Meinung nach.

00:06:12: Und es werden dann eben Papierstreifen erwähnt, die in dieser Kiste sind, die dann vermengt werden.

00:06:19: Und dann müssen die Männer oder die älteren Söhne in der Familie eines dieser Zettelchen ziehen.

00:06:25: Die werden dann alle nacheinander aufgerufen, gehen hin, ziehen an Zettelchen und dürfen es aber nicht anschauen.

00:06:31: Erst nachdem alle gezogen haben, dürfen sie den Zettel dann anschauen.

00:06:35: Und dann kommt eben heraus, dass der Mr. Hutchinson das schlechte Los gezogen hat.

00:06:42: Shelly: Das weiß man nur nicht, dass das schlecht ist.

00:06:44: Wir haben keine Ahnung, was es eigentlich geht bei dieser Verlosung.

00:06:46: Jaci: Genau, man weiß es nicht.

00:06:48: Aber er hat eben einen Los, wo dann alle sofort eben alle anderen erleichtert sind.

00:06:54: Und seine Frau wird dann sofort panisch und sagt, dass das nicht fair abgelaufen ist,

00:07:00: dass ihr Mann nicht genug Zeit gehabt hat, für das Los, das auszuwählen.

00:07:04: Und der quasi von diesen Mr. Summers gedrängt worden ist.

00:07:07: Der Mr. Hutchinson mahnt seine Frau, leise zu sein und sagt, "Jetzt tu nicht so, das wird schon alles werden", sozusagen.

00:07:14: Und dann werden auch die drei Kinder von dem Ehepaar aus der Menge geholt, sozusagen.

00:07:20: Und alle fünf müssen dann nochmal ein Los ziehen.

00:07:23: Also alle Kinder, eines der Kinder ist so klein, dass ein anderer Mitbürger für das Kind ziehen muss.

00:07:30: Und am Ende hat dann eben die Tessi Hutchinson, also die Dame des Herrn, der gezogen hat, das schlechte Los.

00:07:38: Wird extrem panisch und alle anderen Mitbürger*innen aus dem Dorf holen sich Steine,

00:07:47: die von den Kindern am Anfang der Erzählung gesammelt werden, holen sich Steine und gehen auf diese Frau los.

00:07:55: So endet die Geschichte, dass eben alle sich auf sie stürzen quasi.

00:07:59: Und man leitet sich dann eben her, dass die Dame jetzt gesteinigt wird.

00:08:03: Shelly:Genau. Es wird nicht direkt ausgesprochen.

00:08:07: Oder schon? Also ihr habt es mal mit dem Englischen angehört.

00:08:10: Jaci: Ja, also ihr habt die deutsche Fassung gelesen.

00:08:12: Und da ist dann der letzte Satz, Moment.

00:08:16: "Es ist nicht fair, es ist nicht richtig, schrie Mrs. Hutchinson und dann stürzen sie sich auf sie."

00:08:23: Also so ist es, so endet die Geschichte und eben davor holen sich alle Steine, davon leite ich mir her, dass sie gesteinigt wird.

00:08:31: Shelly: Ja, genau. Das ist eben die kurze Zusammenfassung des Inhalts.

00:08:37: Und jetzt werde ich euch nur erzählen etwas über die Entstehungsgeschichte.

00:08:42: Und zwar ist diese Kurzgeschichte im Jahre 1948 das erste Mal erschienen.

00:08:49: Und zwar in diesem Kultmagazin "The New Yorker" und dann später erst in einem Sammelband,

00:08:56: der im Original heißt "The Lottery - Adventures of the Demon Lover".

00:09:02: Und das wurde dann 1989 erstmals ins Deutsche übersetzt.

00:09:07: Und da heißt es dann "Die Teufelsbraut - 25 Dämonische Geschichten". [beide lachen]

00:09:12: Ich liebe deutsche Übersetzungen, echt.

00:09:17: Jaci: Und ganz, darf ich noch kurz einbringen: bei Veröffentlichung der Geschichte hat die auch ganz viel negatives Feedback bekommen.

00:09:26: Also das ist nicht gut angenommen worden von den Leuten.

00:09:29: Shelly:Sie waren überhaupt nicht begeistert, es hat über 300 Leserbriefe gegeben, die direkt an die Shirley Jackson gingen.

00:09:36: Und nur 13 davon waren in einem freundlichen Ton gehalten. [Jaci lacht]

00:09:41: Ja, und meistens ist es in diesen Leserbriefen darum gegangen, dass die Leute total, also dass die Leute total verwirrt waren.

00:09:49: Alle wollten die Bedeutung der Geschichte wissen.

00:09:52: Sie waren sehr fahrig und sehr ungehalten in ihren Briefen.

00:09:57: Und es ist sogar so weit gegangen, dass die Union auf South Africa, also die Union, die Südafrikanische Union, diese Geschichte sogar verboten hat.

00:10:07: Also da hat es starke Zensuren gegeben bei dieser Geschichte.

00:10:11: Und die Shirley Jackson ist mit dieser Geschichte zu einer wichtigen Vertreterin der Slipstream Literature geworden.

00:10:21: Es ist eine literarische Strömung und Werke dieses Slipstreams befinden sich im Grenzbereich von realistischer Mainstream-Literatur und Science Fiction bzw. Fantasy-Literatur.

00:10:37: Das hab ich gegoogelt.

00:10:39: Jaci: Super Recherche, Shelly. Danke vielmals. [beide lachen]

00:10:42: Sehr interessant, eben wir haben die Geschichte beide gelesen oder gehört. Was war dein Eindruck bei der Lektüre?

00:10:52: Also es fangt ja irgendwie so unschuldig an, fast idyllisch oder ... Jaci: Ja so märchenhaft irgendwie.

00:10:58: Shelly: Ja, voll.

00:10:59: Und Shirley Jacksons Stil ist ja ganz interessant eigentlich. Sie beschreibt ja so eigentlich offensichtliche oder scheinbare Abnormalitäten, als was ganz Normales.

00:11:11: Und deshalb kommt man erst im Laufe der Geschichte dann drauf, dass es eigentlich ziemlich "eerie" und düster wird.

00:11:19: Jaci: Genau, also mich hat es auch sehr überrascht, diese Wendung der Geschichte.

00:11:25: Ich hab mir zwar gedacht, dass irgendwas passieren muss, weil die Christina sehr gespannt war auf unsere Reaktion für die Challenge eben.

00:11:36: Und habt mir die ganze Zeit gedacht, was würde passieren, aber dadurch, das Lotterie mit sehr positiven Wörtern irgendwie konnotiert ist in meinem Kopf.

00:11:45: Also es ist eher so Gewinn und irgendwas Gutes passiert, wenn du in einer Lotterie gewinnst.

00:11:50: Dadurch war ich dann eben sehr gespannt, was passieren würde. Ich habe auf jeden Fall keine Steinigung erwartet, muss ich sagen.

00:11:57: Vor allem weil einfach die Atmosphäre sehr modern war oder zumindest moderner als ich es mir im Zeitalter der Steinigung, vorstelle.

00:12:08: Also es könnte jetzt, wann ist es geschrieben worden, 1948?

00:12:13: Es könnte in der Zeit spielen, es könnte aber auch so gut jetzt gerade spielen, also es ist eine eher zeitlose Erzählung.

00:12:20: Aber dennoch eben sehr verstörend, weil es eben immer aktuell sein könnte, und es Menschen geben würde, die das auch jetzt noch machen würden.

00:12:30: Shelly:Witzig, dass du das sagst, weil in diesen Leserbriefen, die sie bekommen hat, haben auch ganz viele Menschen gefragt, wo jetzt dieser Ort ist [Jaci lacht] und ob das ein Erfahrungsbericht ist und wo das nun so praktiziert wird.

00:12:42: Also das haben sie ihr echt abgekauft.

00:12:44: Jaci: Ja, also es ist eben sehr realistisch und ich kann mir eben auch vorstellen, dass es früher Sachen so gehandhabt wurden, auch.

00:12:53: Shelly:Ja, aber vielleicht als Strafe, aber doch nicht als Lotterie.

00:12:56: Jaci: Eben, eben.

00:12:57: Und das ist eben das, was mich beim nächsten der Geschichte so verwirrt hat.

00:13:01: Diese Zeremonie, was alle mit so viel Andacht durchführen, obwohl niemand mehr den Ursprung zu kennen scheint oder wirklich die Wahrheit hinter der Zeremonie oder wie die Tradition wirklich, oder das Ritual wirklich ablaufen sollte, also was gesagt werden sollte, das weiß irgendwie keiner mehr.

00:13:20: Und das ist dann für mich dieses Traditionen durchführen, obwohl man es eben nicht weiß, was es ist, wie wenn man unaufgeklärt in die Kirche geht und nur die Gebete nachsagt, aber nicht weiß, was man da eigentlich sagt.

00:13:32: Also das ist halt so.

00:13:33: Man muss Sachen irgendwie wissen und hinterfragen, damit man sich auch so meinen kann.

00:13:38: Und ich meine, man erfährt in der Geschichte auch, dass andere Dörfer dieses Ritual nicht mehr durchführen.

00:13:46: Also die haben das abgeschafft und gerade die ältesten Leute in dem Dorf, in dem wir eben die Geschichte mitkriegen,

00:13:53: sind ja ganz entsetzt, dass es abgeschafft worden sind.

00:13:56: Und einer sagt dann so quasi, ja, wenn man das Ritual abschaffen kann,

00:14:00: kann man ja gleich wieder in Höhlen wohnen, weil dann sehen wir ja nicht besser als Barbaren,

00:14:05: obwohl das, was hier bei dem Ritual passiert, das Barbarische ist.

00:14:09: Shelly [schnaubt]: Ja, eigentlich schon. Aber das ist eben dieses hirnlose Traditionen-Festhalten.

00:14:14: Jaci: Genau, und ich hab dann eben, ich hab da recherchiert und eben versucht,

00:14:18: Interpretationen zu finden für diesen Text oder Analysen,

00:14:21: weil ich einfach selber nicht klargekommen bin, dass mir so wenig Informationen kriegen,

00:14:27: dass wir eben als Lesende nicht wissen, wieso gibt es die Tradition,

00:14:32: wieso möchten die Bürger das weiterführen, wieso hängt man an diesem barbarischen Ritual fest,

00:14:40: obwohl man es eben nicht machen muss, wie jetzt eben andere Dörfer haben das abgeschafft.

00:14:45: Shelly: Das wurmt sich voll, oder? Jaci: Und das ist mich wahnsinnig, ich finde es total hinrissig,

00:14:52: dass ich mir denke, ich mach bei so was mit und ich weiß selber nicht, wieso ich das mach,

00:14:58: aber ich steinige jetzt einfach einmal eine Frau, weil die Traditionen das so von mir verlangen.

00:15:03: Shelly: "Weil wir es immer schon so gemacht haben". Jaci: Eben! "Und das war halt immer schon so und man hinterfragt die Traditionen nicht",

00:15:08: aber in anderen Dörfer, wo sich die Jungen durchsetzen, da ist es eben abgeschafft worden,

00:15:14: weil die Jungen, die möchten immer Sachen verändern und so, das ist schlimm, [beide lachen] Shelly: Wie können sie nur.

00:15:20: Jaci: Auf jeden Fall habe ich dann eben bei meinen Recherchen eben auch herausgefunden,

00:15:25: dass da natürlich einfach ganz viele gesellschaftskritische Sachen aufgewiesen werden sollen.

00:15:30: Also Shirley Jackson hatte natürlich einen tieferen Sinn hinter dieser Geschichte, den sie ausdrücken wollte.

00:15:36: Und es geht ihr ja eben hauptsächlich darum zu zeigen, wozu die Menschen in ihrem Inneren fähig sind,

00:15:43: also welches Böse quasi in jedem Menschen lauert, verbunden eben mit der Macht von Tradition und Ritualen

00:15:52: und eben auch die Macht der Gruppe, also die Anonymität, die man in der Gruppe hat und dieser Gemeinschaftszwang.

00:16:00: Also dass ein ganzes Dorf zusammenkommt und es dann quasi egal ist, wer den ersten Stein wirft,

00:16:08: weil es sowieso alle werfen und dann "bist nicht du schuld", das ist so, genau.

00:16:14: Und das ist glaube ich auch das, was viele Leute verstört, weil es eben so realistisch ist

00:16:19: und es eben aufzeigt, wozu eine Gemeinschaft fähig ist.

00:16:24: Shelly:Ja, und was noch dazu kommt, ist das Element des Zufalls mit dieser Lotterie, mit den Losen.

00:16:32: Jaci: Genau, da habe ich auch gelesen eben, weil diese Mrs. Hutchinson,

00:16:36: ich weiß nicht, ob ich den Namen richtig ausspreche, aber so, haben wir ihn gelesen - Shelly: Hutchinson, hab ich auch so. - Jaci:Ok.

00:16:41: Die dementiert den Ausgang dieser Lotterie und sagt eben, es ist nicht fair abgelaufen,

00:16:50: sie sagt nicht, dass das Ritual blöd ist und dass man das abschaffen sollte

00:16:56: oder dass es generell unfair ist, jemandem zu steinigen, sie stellt sich nur dagegen, dass es ihrer Familie passiert.

00:17:02: Shelly: Ja. Jaci: Und das ist ja auch irgendwie spannend, dass sie die Lotterie akzeptiert, aber eben nicht den Ausgang,

00:17:09: weil ihr ihr Leben halt mehr wert ist als diese Tradition, aber ein anderes Leben würde sie opfern für diese Tradition.

00:17:17: Shelly: Ja. Jaci:Und das hat mich dann auch so fertig gemacht, weil ich mir gedacht habe, wie kann man das gut finden,

00:17:23: diese Tradition, wenn man es dann selber nicht akzeptiert und eben nicht... Shelly:  stimmt, wie kannst du jemand,

00:17:29: wie kannst du jemand anderen dann steinigen, wo du selbst nicht hinnehmen würdest?

00:17:34: Jaci: Das war auch so eine Note, wo man gedacht hat, das weiß nicht, das ist keine runde Sache ...

00:17:41: ich meine, es ist auch eine super Geschichte, aber eben der ganze Ablauf in diesem Dorf macht micht so fertig,

00:17:47: nicht die Geschichte an sich, weil die Geschichte ist ja genial, aber eben einfach dieses Denken dieser Leute macht mich so narrisch,

00:17:53: ich kann es nicht anders sagen, es macht mich einfach narrisch, weil du genau weißt, wie es in diesen Köpfen von diesen Leuten vorgeht

00:18:01: und wie unüberlegt das das ist.

00:18:04: Shelly: Ja voll, es ist wirklich wirklich realistisch, also es ist sehr gesellschaftskritisch,

00:18:09: und es hält uns irgendwie so allen irgendwie den Spiegel vor.

00:18:13: Jaci: Genau, ja. Und ich meine, es ist dann auch in einer Analyse mit "Die Tribute von Panem" verglichen worden,

00:18:21: weil bei "Tribute von Panem", das ist eine Jugendbuchreihe von Suzanne Collins, da werden die Tribute eben aus jedem Distrikt in diesem Land eben gezogen,

00:18:32: also sie werden auch per Los ausgezogen, da ist es keine Lotterie, und da ist es ein Gerüst von, was von diesem diktatorischen Staat

00:18:41: auf die Menschen aufgezogen wird, dass eben Tribute gefordert werden, aber die werden dann in eine eigene Arena geschickt,

00:18:49: wo sich diese Tribute gegenseitig umbringen müssen und nicht von der Gesellschaft, in der sie wohnen.

00:18:55: Und ich glaube, das ist auch ein Punkt, das mir noch mehr verstört hat, dass es eben die Nachbarin und Ehefrau von vielen war,

00:19:03: und dass die Menschen, die sie kennen, sie umgebracht haben.

00:19:06: Und ich finde diesen Vergleich mit "Tribute von Panem" nicht wirklich passend, weil es eine ganz andere Mentalität ist.

00:19:14: Shelly: Das, und du hast schon gesagt, es war ein diktatorisches Staat, und die in dem Dorf haben sie es ja selbst so ausgemacht,

00:19:23: dass sie die Lotterie weiterführen, also die sind eigentlich nur durch die Tradition gezwungen, aber nicht von oben herab.

00:19:31: Jaci: Eben, weil man eben mitkriegt, dass es in anderen Dörfern nicht durchgeführt wird und denen aber keine Konsequenzen drohen.

00:19:38: Also genau, das ist der Vergleich. Mein persönlicher Vergleich war "Squid Game", die Serie Netflix-Serie, die war vor drei Jahren, glaube ich.

00:19:48: Shelly: Ich glaube, das war noch vor Corona, oder?

00:19:50: Jaci: Während Corona, glaub ich. Shelly: Während Corona.

00:19:52: Jaci: Ja, Zeit ist ein Konstrukt. [Shelly lacht] Das war vor einigen Jahren diese erfolgreiche Netflix-Serie in der Leute, in eine Fernseh...

00:20:03: Also wie heißt es, in einen Wettbewerb gesteckt werden, indem sie andere Leute oder halt ihre Gegner umbringen müssen,

00:20:11: um quasi im echten Leben ihre Schulden loszuwerden.

00:20:15: Und das zeigt auch eben das Inneren im Menschen, wozu die Menschheit fähig ist.

00:20:20: Und da ist es zwar auch jetzt nicht eine Auslosung, aber einfach von der Brutalität dieser Serie und der Brutalität von der Mentalität der Leute

00:20:29: in diesem Szenario finde ich den Vergleich einfach ein bisschen passender, weil man da mehr diese harte Realität mit kriegt.

00:20:38: Shelly: Ja, aber sie werden doch an... Also das ist ein Jahr an, wo so Spielfiguren eigentlich von denen, die das Spiel quasi erfunden haben, oder?

00:20:46: Jaci: Genau, wenn auch wieder von oben...

00:20:48: Shelly: Ja, die sind auch wieder von oben...

00:20:49: ...herab gesteuert mehr oder weniger.

00:20:50: Jaci;Ist kein perfekter Vergleich, aber für mich spiegelt das mehr dieses "Deinen Nächsten umbringen".

00:20:56: Nicht wie bei "Tribute von Panem", jemanden, den du gar nicht kennst, so irgendwie.

00:21:02: Genau, weil was eben auch in einer Analyse gestanden ist, dass ja das Prinzip des Sündenbockes mit dieser Bestrafung, mit dieser Steinigung,

00:21:11: bei dieser Lotterie irgendwie genutzt wird, aber ich verstehe eben nicht,

00:21:16: und das hängt glaube ich auch damit zusammen, dass wir als Lesende nicht wissen, woher kommt das Ritual, weil vielleicht kommt es ja auch von diesen...

00:21:23: "Jemand muss bestraft werden für unsere Sünden".

00:21:28: Shelly: Ja, aber was für Sünden sind passiert?

00:21:30: Jaci: Das weiß man ja nicht.

00:21:32: Und das verstehe ich auch nicht, wie das Prinzip des Sündenbockes mit der Lotterie im Standpunkt, wo das in dieser Erzählung schon ist.

00:21:41: Man weiß nicht, wie es vorher war, wie das da zusammenspielt.

00:21:45: Shelly: Vielleicht war's früher eher so ein rituelles Opfer, was man gebracht hat, und weil niemand derjenige sein wollte, der jemanden auswählt, dass es dann die Loterie gegeben hat, aber dieser Background ist halt irgendwie verloren gegangen.

00:21:54: Jaci: Ja eben, man weiß es nicht. Ist es einfach gesellschaftlich entstanden, politisch, religiös? Man weiß es nicht.

00:22:00: In jedem Fall ist es ein hirnrissiges Ritual, meiner Meinung nach ... [lacht] Shelly [sarkastisch]:Was, ich find das total super.

00:22:07: Jaci: Es ist so verstörend, weil auch bei "Squid Game" und bei "Tribute vom Panem" jetzt, zum Beispiel, weil wir gerade das Vergleich hierher genommen haben, da sind keine Kinder beteiligt.

00:22:18: Und eben bei der Lotterie von Shirley Jackson - Shelly: Bei "Tribute vom Panem" deshalb nicht, weil ja die Schwester von ihr... sich opfern.

00:22:24: Jaci: Ja, aber die sind mindestens 15, glaub ich. - Shelly: Ach so.

00:22:27: Jaci: Also, die müssen halt ein gewisses Alter erreicht haben, aber dieses Kind in der Lotterie, das kann doch nicht mal selber ein Los ziehen.

00:22:35: Also, das ist vielleicht drei Jahre alt, zwei, drei Jahre alt.

00:22:38: Shelly: Aber da ist ja dann wer einsprungen wird.

00:22:40: Jaci: Ja nur um das Los zu ziehen, nicht um die Strafe dann abzukriegen.

00:22:43: Shelly [überrascht]: Ach so?

00:22:44: Jaci: Ich glaube nicht, dass dann der Mann, der für das Kind gezogen hat, gesteinigt werden würde.

00:22:50: Ich glaube, dass dann das Kind...

00:22:52: Shelly: Boah, zach.

00:22:53: Jaci:Eben!

00:22:54: Die drei Kinder haben dann gezogen, und am Ende hat man ja auch diesem kleinen Kind, der es nicht mal selber ziehen hat können, Kieselsteine in die Hand gegeben.

00:23:02: Das ist quasi auch auf seine Mutter wirft.

00:23:05: Und das ist ja so barbarisch alles.

00:23:08: Und noch dazu, das ist jetzt, glaube ich, ein ganz eigener Podcast wieder, es ziehen ja nur die Männer.

00:23:15: Das heißt, die Männer ziehen auch über das Los ihrer Frauen.

00:23:18: Es dürfen nicht mal die Frauen selber ziehen, um irgendwie ...

00:23:22: Es ist, es ist ja eine Glückssache.

00:23:23: Shelly: Es zieht das Familienoberhaupt. Jaci: Eben!

00:23:25: Shelly: Es ist entweder der Vater, und wenn es den nicht mehr gibt, das irgendeinen Grund, weil der das letzte Los gezogen hat ... Jaci: Und der ist dann der Sohn.

00:23:30: Shelly:Dann der Sohn, und der Sohn, und wann der nicht ist, dann die Frau.

00:23:34: Dann die Frau.

00:23:35: Das ist eben auch eine Frau zieht, und da sind alle so, "Hast du keinen Sohn, der für dich ziehen kann?"

00:23:40: Shelly: Ja, stimmt, das ist auch krass.

00:23:41: Da hat es mich auf, da haben wir auch gedacht, lass doch die Frau dann wenigsten selber ihr Glück herausfordern quasi.

00:23:48: Aber vielleicht bin ich zu...

00:23:52: Shelly:Emanzipiert.

00:23:53: Jaci [lacht]: So, völlig fertig von der Geschichte.

00:23:56: Ja.

00:23:57: Shelly:Ja.

00:23:58: Jaci: Man merkt, ich bin sehr... aufgebracht.

00:24:00: Shelly: Zerrissen.

00:24:02: Ich hab sie cool gefunden.

00:24:03: Ich hab sie echt cool gefunden, weil ich eben nicht weißt ...

00:24:05: Weil ich so viel nicht weiß.

00:24:07: Weil ich mir so viel selber zusammen spinnen muss ich in meinem Kopf.

00:24:09: Jaci: Ich mag solche Sachen, ich muss genau wissen, wie so was passiert.

00:24:12: Dann hinterfrage ich es viel zu viel, und dann lässt sie mich tagelang nicht los.

00:24:16: Also ich werde jetzt noch länger an diese Geschichte denken.

00:24:19: Shelly: Ja, aber das ist einfach Shirley Jackson.

00:24:22: In unserem Podcast haben ja Christina und Pia schon mal was für ein Shirley Jackson,

00:24:26: die in der letzten Staffel, und zwar "The Haunting of Hill House",

00:24:29: also "Spuk im Hill House", was auch Netflix verfilmt worden ist.

00:24:33: Und da ist es ja auch, dass du nicht genau weißt, okay, was passiert jetzt gerade.

00:24:37: Und das ist ein ganzer Roman, das war voll cool, ich hab den dann auch gelesen.

00:24:40: Jaci: Oh Gott, ja okay, vielleicht lese ich den auch.

00:24:42: Aber okay, dann würde es mich auf aufregen. [beide lachen]

00:24:44: Shelly: Ja, ist vielleicht eher nichts für dich.

00:24:46: Jaci: Ja.

00:24:47: Okay, auf jeden Fall, Christina und Pia, danke für diese Challenge.

00:24:51: Es war wirklich eine Challenge für mich. [lacht]

00:24:54: Geistig. [Shelly lacht]

00:24:55: Aber ein sehr gutes Buch.

00:24:59: Shelly: Und jetzt wollt ihr natürlich wissen, was ihr als nächstes lesen dürft.

00:25:05: Und da wir ja jetzt gerade die Halloween-Folge aufgenommen haben, - Jaci: Happy Halloween! -

00:25:10: und es sehr gruselig war - ja, Happy Halloween, übrigens [lacht] -

00:25:14: oder wer die Nacht der Tausend Lichter feiert,

00:25:17: fröhliches Lichter- [unverständlich]

00:25:20: Jaci: Und auch bei den Hexen ist es jetzt - [unverständlich].

00:25:22: Shelly: Anyhow, auf jeden Fall, wollen wir es nur ein bisschen so gruselig halten.

00:25:29: Und deshalb werdet ihr eine Krimi lesen.

00:25:33: Und zwar von der Krimiautorin schlechthin, - [Jaci trommelt auf den Tisch]

00:25:39: und zwar Agatha Christie.

00:25:42: Und da werdet ihr sehr passend zu unserem Workplace lesen, [Jaci lacht]

00:25:49: und zwar "Die Tote in der Bibliothek". Jaci: Dum-dum-dum. [Shelly lacht]

00:25:52: Jaci: Und zwar die Neuauflage, die wir auch gerade eben druckfrisch,

00:25:58: sozusagen in die Bibliothek bekommen haben.

00:26:01: 2024 jetzt neu erschienen, wo eben die Miss Marple,

00:26:05: eine der berühmtesten Detektivinnen von Christies Zeit,

00:26:09: und unserer Zeit wahrscheinlich auch eben einen Mordfall ermittelt.

00:26:13: Shelly: In einer Bibliothek.

00:26:15: Jaci: Mit dieser freudigen Lesechallenge lassen wir euch,

00:26:19: lieber Leser und Leserinnen,

00:26:21: und eben auch die Christina und die Pia in den Halloweenabend starten.

00:26:26: Und wir freuen uns auf die nächste Folge.

00:26:29: Shelly: Das tun wir. Viel Spaß beim Lesen.

00:26:31: Jaci: Danke fürs Zuhören.

00:26:33: [Outro-Musik]

00:26:57: [Pia spricht] S'Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek Innsbruck,

00:27:01: und Teil der Stadtstimmen, dem Audiokanal der Stadt Innsbruck. [Pia spricht]

00:27:05:

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