Sprachenvielfalt und Sprachsensibilität in eurer Stadtbibliothek
Shownotes
Was macht es mit uns, wenn wir mehrere Sprachen sprechen? Vielleicht in verschiedenen Sprachräumen großwerden, Worte um uns haben, von denen wir manche verstehen, viele andere nicht? Was hat Sprache mit der eigenen Persönlichkeit zu tun, und wie war das alles eigentlich früher so?
Unsere Kollegin Veronika ist zu Gast und unterhält sich mit Christina über diese und viele weitere Aspekte der Mehrsprachigkeit. Sie ist selbst mit Flämisch und Französisch im Ohr aufgewachsen, organisiert viele sprachsensible Veranstaltungen in der Stadtbibliothek und weiß um die Wichtigkeit des Umgangs mit Sprachenvielfalt. Ihr lest schon, in der heutigen Folge geht es einmal mehr um Sprachen: Lasst euch mitnehmen vom Gespräch in die Vielfältigkeit von Sprachen, in Abstecher auf kulturhistorische sowie bibliothekspädagogische Sichtweisen. Es geht um Sprachbewusstsein, um Empathie und darum, über sich und seine eigenen Erfahrungsgrenzen hinauszuwachsen.
Wir schreiben Sprachenvielfalt groß. Teilt mit uns eine ungewöhnliche, bezaubernde, unerwartete Begegnung mit einer anderen Sprache in eurem Alltag! Schreibt uns auf post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at, Instagram (stadtbibliothek.innsbruck) oder Facebook.
Veronikas Leseempfehlung: Tijan Sila mit Radio Sarajevo https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/manDetail/111173
Sprache und Identität in der Literatur von Elias Canetti: https://stbibk.litkatalog.eu/litterare/simple_search?query=%22Canetti%2C%20Elias%22
svorwort #popcast #bibcast #gemeinsambesser #gemeinsambesserlesen #stadtstimmen
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00:00:00: [Stimme moduliert] Vorsicht, der Genuss dieses Podcasts kann zu vermehrten Bibliotheksbesuchung führen. [moduliert]
00:00:07: [Intro-Musik] Christina: Hallo und herzlich willkommen zurück zum Vorwort, dem Podcast der Stadtbibliothek
00:00:25: Innsbruck. Ich bin die Christina und die Pia ist zu diesem Zeitpunkt, oder dem Zeitpunkt dieser
00:00:32: Aufnahme bei einer wichtigen Fortbildung, nämlich zu den Neuerscheinungen, die rund um den Oktober
00:00:38: herauskommen für die im Oktober anstehende Frankfurter Buchmesse. In der letzten Folge haben
00:00:45: die Pia und ich unsere Sprachgeschichte mit euch geteilt und euch erzählt, warum wir beide
00:00:49: Englisch sprechen und dem ein oder anderen oder der ein oder der anderen hoffentlich ein paar
00:00:56: Inspirationen mitgegeben, wie man den Start in eine andere Sprache findet. In der heutigen Folge
00:01:03: wird es einmal mehr um das Thema Mehrsprachigkeit gehen, diesmal jedoch nicht nur aus persönlicher
00:01:10: Sicht, sondern aus kulturhistorischer und vor allen Dingen bibliothekspädagogischer Sicht. Wie
00:01:17: bereits angekündigt habe ich mir dafür extra Hilfe geholt, nämlich einer Expertin. Heute ist
00:01:23: unsere liebe Kollegin die Veronika bei uns. Veronika, herzlich willkommen im Podcast. - Veronika: Ja,
00:01:29: hallo. - Christina: Möchtest du dich unseren Zuhörer*innen vorstellen, wie vielleicht einmal sagen, was
00:01:35: deine Rolle bei uns im Haus ist? - Veronika: Ja, ich bin Bibliothekarin hier im Haus mit dem Schwerpunkt
00:01:42: Zielgruppenarbeit. Das ist für uns so ein ganz geläufiges Wort. Ich sage vielleicht ganz kurz,
00:01:47: was wir darunter verstehen. In der Bibliothek bieten wir ja nicht nur Medien zum Verleih an,
00:01:54: wir bieten auch alle möglichen Veranstaltungen und Angebote zum Mitmachen, zum Dabei sein,
00:02:02: zum Zuhören, zum Diskutieren, zum Lernen, zum Philosophieren für unser Publikum an,
00:02:08: zum Dabei sein für verschiedene Zielgruppen. Das sind einerseits Kinder und Jugendliche,
00:02:14: das sind aber auch Erwachsene, Menschen mit spezifischen Bedürfnissen, wie zum Beispiel Menschen
00:02:19: mit Deutsch als Zweitsprache, Senioren und Seniorinnen. Aber im Grunde gehört jeder und
00:02:26: jede zu irgendeiner unserer Zielgruppen. Und wir entwickeln da spezifische Angebote auf
00:02:32: verschiedenen Ebenen. Das ist eigentlich meine hauptsächliche Aufgabe hier im Haus. - Christina: Genau, und du machst
00:02:40: all diese schönen Sachen, zum Beispiel hat es, natürlich mit Hilfe von anderen Kolleg*innen,
00:02:47: die das auch fleißig organisiert haben, - den Viktor kennt ihr schon, der war ja schon bei uns im Podcast
00:02:53: auch - das "Sprachcafé" zum Beispiel gegeben. - Veronika: Ja, das ist eine Sache, die wir begonnen haben in
00:03:02: unserem Zielgruppen-Team vor, ich glaube, ja vor drei Jahren, der sogenannte Sprach-Aperitivo,
00:03:10: wo wir einmal im Jahr, immer im Herbst, im September dazu einladen, mit zu plaudern in einer
00:03:19: Sprache, die jedes Mal eine andere ist. Wir hatten bereits Italienisch zu Gast. Wir hatten letztes
00:03:26: Jahr eine englische Tea-Time und wir hatten jetzt diese Woche Eric Ginestet bei uns zu Gast,
00:03:36: der auf Französisch uns ganz genau erklärt hat, welchen Wein zu welchem Käse man trinken [Christina lacht leise]
00:03:45: sollte. Und das sind immer sehr nette Veranstaltungen, wo es einfach darum geht, die Scheu zu verlieren,
00:03:52: in einer anderen Sprache zu sprechen, sich einfach spielerisch darauf einzulassen. Und das wird
00:03:58: immer auch sehr gut angenommen. - Christina: Ja, für alle, die noch nicht dabei waren, es ist wirklich
00:04:03: eine ganz besondere Veranstaltung, die auch auf der Fläche stattfindet bei unserem Lesecafé. Es
00:04:10: gibt immer was Gutes zum Essen, zum Probieren, zum Verköstigen, weil Sprache geht ja auch durch
00:04:15: den Magen oder so ähnlich. - Vero: [amüsiert] Genau. - Und es ist eine herrliche Stimmung. Also haltet Ausschau nach dem nächsten
00:04:21: Sprach-Apero und das lohnt sich total. Es ist eine ganze gemütliche Angelegenheit, ja, jedes Mal so
00:04:30: bezaubernd, auch wenn wir im Dienst sind. Wir mögen diese Tage sehr, sehr gerne. Veronika,
00:04:35: du hast ja eine besondere Beziehung zur französischen Sprache. Ist das richtig? - Veronika: Ja, auch. Ich bin selber
00:04:44: in einer binationalen Familie aufgewachsen. Meine Mutter ist Belgerin und mein Vater war Österreicher.
00:04:54: Wir sind hier in Österreich, in Innsbruck aufgewachsen. Aber wir waren natürlich auch ganz oft in
00:05:00: Belgien bei meiner Großmutter und dort wurden immer mehrere Sprachen gesprochen. Einerseits
00:05:07: natürlich Flämisch. Flämisch ist die belgische Variante des Niederländischen und andererseits
00:05:13: auch Französisch und natürlich auch Deutsch. Meistens ist es ja so, dass niederländisch-sprachige
00:05:19: Menschen Deutsch sehr gut verstehen. Umgekehrt ist es nicht ganz so. Das hat was
00:05:23: mit dieser Lautverschiebung zu tun. Da könnten jetzt Sprachwissenschafter*innen,
00:05:27: könnten uns das jetzt ganz genau erklären, warum das so ist. Und diese Vielfalt der Sprachen,
00:05:32: das war eigentlich für uns Kinder, also mich und meine Schwestern, immer schon Normalität.
00:05:39: Auch die Situation, dass man am Esstisch sitzt mit der Verwandtschaft und nicht alles versteht.
00:05:44: Also meine Mutter und meine Tanten, die haben dann Niederländisch gesprochen am Tisch, das
00:05:50: haben wir so halb verstanden. Und immer, wenn es dann um etwas gehen sollte, was wir Kinder nicht
00:05:56: verstehen sollten, was nur für Erwachsene war, sind sie ganz plötzlich ins Französische
00:06:01: gewechselt. Das konnten wir damals als Kinder noch nicht. - Christina: Aha! - Und immer, wenn er plötzlich Französisch
00:06:06: gesprochen wurde, dann wussten wir, okay, jetzt geht es um irgendwas ganz, ganz spannendes, [Christina lacht]
00:06:11: ganz was Interessantes, was wir nicht wissen dürfen. Und im Laufe der Zeit hat man doch das eine
00:06:17: oder andere verstanden. Aber diese Situation mehrerer Sprachen, die Situation einen Teil zu verstehen,
00:06:27: einen Teil nicht zu verstehen, das ist mir von Kindheit aus schon sehr vertraut. Ja. - Christina: Und ich
00:06:33: bin mir, ich kann mir vorstellen, dass das auch ein sehr nützliches Wissen ist, auch für deine Arbeit,
00:06:39: auch was die Arbeit an der Sprache und an den Sprachen betrifft. Die Pia und ich haben uns ja
00:06:47: letzte Folge darüber ausgetauscht, wie das ist eine Zweitsprache, wir haben es genannt,
00:06:51: zu "adoptieren". Und aus der sehr privilegierten Position heraus, das über den Bildungsweg
00:06:56: freiwillig zu machen in dem Land, wo wir eigentlich unsere Erstsprache sprechen,
00:07:03: wo unsere Erstsprache die Amtssprache ist und wo wir eigentlich eher suchen müssen,
00:07:10: um unsere "adoptierte Zweitsprache", also Englisch um uns zu haben, so ein bisschen. Deswegen,
00:07:16: was du gerade schilderst, ist ja dann eine ganz andere Situation. Wir haben ja sehr viele
00:07:21: Menschen, die in Österreich auch leben, die das nicht unbedingt freiwillig haben,
00:07:27: dass sie in diese Zweitsprache Deutsch eintauchen. Ja. - Veronika: Ja. Also ich glaube, generell mehrsprachig
00:07:38: aufzuwachsen oder im Laufe seines Lebens mit mehreren Sprachen zu leben, fördert auch
00:07:47: das Sprachbewusstsein ganz stark. Und ich glaube, man sieht das auch, wenn man jetzt die aktuelle
00:07:54: deutschsprachige Literatur nimmt, dann gibt es da ganz viele Autoren und Autorinnen, die Deutsch
00:08:01: als Zweitsprache haben und aber hervorragend auf Deutsch schreiben. Also wenn man jetzt zum Beispiel
00:08:08: den heurigen Bachmannpreisträger nimmt, Tijan Sila, übrigens ganz große Leseempfehlung.
00:08:15: Tijan Sila ist in Bosnien aufgewachsen und dann mit der Familie auch als Folge des
00:08:22: Bosnienkrieges nach Deutschland ausgewandert in seinen Jugendjahren und schreibt jetzt auf
00:08:30: Deutsch und im deutschen Sprachraum gibt es ja ganz viele Kulturschaffende, die Deutsch sich erst
00:08:37: sekundär, also als Zweitsprache angeeignet haben und jetzt sehr produktiv mit dieser Sprache umgehen.
00:08:45: Also Mehrsprachigkeit kann auch ein Kick sein quasi in die Kreativität und in einen sehr
00:08:54: bewussten, sehr reflektierten Umgang mit Sprache. - Christina: Du hast gesagt, es stärkt das Sprachverständnis und
00:09:02: ich finde, es stärkt auch die Empathie, weil Kommunikation verläuft ja auch nicht nur auf
00:09:09: sprachlicher Ebene natürlich und gerade wenn man in die Situation kommt, wo man sich vielleicht
00:09:14: sprachlich nicht versteht, lernt man umso besser andere Kommunikationsmodelle kennen.
00:09:20: Veronika: Absolut, ja und ich würde auch nur dazu sagen, jede Sprache hat ja auch eine andere, bringt eine
00:09:31: andere Kultur der Kommunikation mit sich. Man drückt sich anders aus. Es sind nicht nur andere
00:09:38: Wörter und eine andere Grammatik, es ist eine andere Art des sprachlichen Verhaltens. Also zum
00:09:46: Beispiel hat meine Mutter immer wieder erzählt, wie sie nach Österreich kam in den 60ern nach
00:09:52: Tirol in ein damals noch sehr traditionell geprägtes Tirol. Sie war wirklich eine Exotin quasi
00:09:58: als Ausländerin hier - war sie verwundert, wie wenig man eigentlich mit Kindern spricht. Also
00:10:05: wie sie war einen viel sprachlicheren Ausdruck, ein viel stärkeres Sprechen miteinander, ein
00:10:16: Einbetten in zärtliche Worte. Also wir wurden als Kinder wirklich eingepackt in ganz viel
00:10:25: sprachliche Liebkosung. Ich will jetzt mit sagen, dass man in Tirol nicht zärtlich mit Kindern ist!
00:10:32: Aber, es ist eine andere Art. Zum Beispiel im Flämischen gibt es diese sehr zärtlichen Verkleinerungsformen
00:10:40: von Namen. Also jeder Name wird irgendwie abgewandelt. Man ist nicht "Veronika", man ist
00:10:49: "Veronika-ke", oder "Veronique-kske" und so ist jeder wird so mit Zärtlichkeit benannt. Und das hat
00:11:00: ein ganz anderen Stellenwert. Und für sie war dieser eher rauer Ton bei uns, der ja auch eine
00:11:06: gewisse Ästhetik hat, das würde ich gar nicht absprechen, aber dieser eher raue Ton war für
00:11:13: sie sehr befremdlich am Anfang. Und so bringt jede Sprache, bringt ihre Kultur mit, des Miteinanders,
00:11:19: und da gibt es dieses wunderschöne Zitat von Walter Benjamin: "Jede Sprache teilt sich selbst mit."
00:11:27: Also jede Sprache ist nicht nur ein Medium, etwas zu transportieren, sondern jede Sprache hat auch
00:11:33: ihre eigene Botschaft, ihren eigenen Inhalt. Und ich glaube, egal ob man in einer Sprache
00:11:42: aufwächst, mehrsprachig aufwächst oder Sprache sich sekundär dann noch einmal aneignet,
00:11:47: einfach sich darauf einzulassen auf eine andere Sprache, birgt schon das Potenzial,
00:11:55: dass man die eigene Weltsicht ein bisschen vergrößert. Und deshalb ist es das Wert auf jeden Fall,
00:12:02: auch sich mit Sprachen auseinanderzusetzen. - Christna: Findest du das Sprache was mit Identität zu tun hat?
00:12:09: Veronika: Unbedingt. Unbedingt. Also es beginnt schon bei der Stimme. Man moduliert ja auch die Stimme anders,
00:12:18: wenn man es in einer anderen Sprache spricht. Sprache kommt ja auch, wenn man es mal ganz basal
00:12:26: sehen, aus dem Körper über unseren Stimmapparat. Sprache hat ganz viel damit zu tun, wer wir sind,
00:12:34: als wer wir auch gesehen werden wollen und was uns ausmacht. Und sehr viele Menschen, die migriert
00:12:43: sind und jetzt in einem anderen Ort, in einer anderen Sprache leben, beschreiben dann auch so diesen
00:12:48: Zeitpunkt, wenn sie beginnen, nach vielen Jahren in einer anderen Sprache, in einer neuen, erworbenen
00:12:55: Sprache zu träumen. Das ist dann auch oft so - zeigt dann so das tiefere Eintauchen in eine Sprache.
00:13:05: Und ein sehr schönes Beispiel, auch literarisch, wenn man sich das anschauen will, was Sprache mit
00:13:11: Identität zu tun hat, zum Beispiel Elias Canetti, der ja also ganz wichtiger, großer Autor des
00:13:20: 20. Jahrhundert, der auf Deutsch geschrieben hat, der mit vier Sprachen aufgewachsen ist. Er ist ja in
00:13:28: Rustchuk [red. Anm.: heute Ruse] geboren. Das ist im heutigen Bulgarien in einer jüdischen Familie, einer sephardisch-jüdischen
00:13:39: Familie. Das heißt, die haben zu Hause Ladino gesprochen, die Sprache der sephardischen Juden
00:13:45: und Jüdinnen, waren dann aber auch von Bulgarisch umgeben, natürlich in der Umgebung, auch von
00:13:52: Türkisch, weil es noch durch das Osmanische Reich so geprägt war. Das war ja auch die Region,
00:13:57: war Teil des Osmanischen Reiches auch lange Zeit. Und seine Eltern haben aber miteinander nur
00:14:04: als Paar Deutsch gesprochen, ganz exklusiv. Die Kinder sollten es nicht verstehen. Und er hat dann
00:14:12: erst, wie sein Vater verstorben ist, von seiner Mutter Deutsch gelernt oder auf Deutsch geschrieben.
00:14:17: Und er hat dann aber später noch gesagt, dass zum Beispiel sein bulgarisches Kindermädchen,
00:14:25: hat ihm auf Bulgarisch Märchen erzählt. Und er hat dann später im Leben gesagt, er könnte jetzt
00:14:30: keinen Satz mehr
00:14:32: auf Bulgarisch sagen. Er würde die Sprache nicht mehr so herbringen, aber dieser Klang,
00:14:37: der Bulgarischen Märchen, die ihm sein Kindermädchen erzählt hat, dieser Klang, den hört er immer noch und
00:14:47: der beeinflusst auch sein literarisches Werk auf Deutsch. Also so lassen sich Sprachen auch nicht
00:14:55: wirklich so trennen. Jede Sprache, die in unser Leben tritt, beeinflusst auch unser Sprachgefühl,
00:15:03: unser Gefühl für Rhythmus, für Klangfarbe, für Sprachmelodie. Und ja, in der Literatur kann
00:15:11: man das sehr gut nachvollziehen. Aber es ist auch für uns alle, auch für die, die nicht schreiben,
00:15:17: etwas, was sehr wichtig ist in unserem Leben und dem wir auch mehr Aufmerksamkeit schenken sollten.
00:15:23: Christina: Mhm. Und vor allen Dingen auch die positive Aufmerksamkeit, die das eigentlich verdient. Im Vorgespräch oder
00:15:31: im Vorfeld unserer Aufnahme haben wir uns ja über ein paar Themen schon ausgetauscht und da hast
00:15:39: du auch gesagt, dass es kulturhistorisch eigentlich die Normalität war, mehrsprachig zu sein. Du hast
00:15:47: jetzt schon mehrere Beispiele genannt, also von - wie viele Menschen, in dem Fall Literaten, du selber
00:15:56: eben auch mehrsprachig, also ganz selbstverständlich mehrsprachig aufgewachsen sind. Kannst du uns
00:16:02: da aus diesem kulturhistorischen Aspekt noch was sagen, weil heute hat man ja das Gefühl manchmal
00:16:08: im öffentlichen Diskurs, als wäre die Mehrsprachigkeit was Neues und eventuell sogar was Schlechtes,
00:16:16: was wir und ich glaube, dass du mir dazustimmen wirst, ja überhaupt nicht so sehen. Oder? - Veronika: Mhm, ja. - Und vielleicht
00:16:24: kannst du da was dazu sagen ... Veronika: Ja, also wenn man sich die Geschichte Europas jetzt genauer anschaut,
00:16:30: das Denken, das ein Staat eine Sprache hat, das ist ja eigentlich erst mit der Entstehung der
00:16:42: modernen Nationalstaaten, vor allem im 18. und 19. Jahrhundert entstanden. Wenn wir jetzt zum
00:16:49: Beispiel Frankreich als Beispiel nehmen. In Frankreich gab es viele Sprachen, viele regionale
00:16:56: Sprachen, Okzitanisch, Bretonisch, an der Grenze im Grenzraum zu den Niederlanden,
00:17:04: Flämisch, im Grenzraum zu Spanien, Katalanisch. Also da gab es viele Sprachen und es war auch
00:17:14: einfach dann irgendwann der politische Wille eine nationale einheitliche Sprache zu haben.
00:17:20: Und diese kleinen Sprachen, die regionalen Sprachen, die Minderheitensprachen,
00:17:25: wurden ja auch in einem, im weitesten Sinn, gewalttätigen Prozess eigentlich, ja, es wurde ihnen
00:17:34: einfach kein Platz mehr geboten. Und teilweise wurden solche Sprachen dann auch verboten in
00:17:40: dieser Entstehung der modernen Nationalstaaten. Und es gab einfach viele Regionen, die über die
00:17:47: Geschichte hinweg immer zweisprachig waren, wenn man zum Beispiel das Elsass nimmt, wo ja
00:17:52: Deutsch und Französisch immer präsent waren, aber auch wenn man Osteuropa nimmt,
00:17:58: wo viele Regionen mehrere Sprachen hatten. Und es natürlich auch immer politische Fragen waren
00:18:03: und auch das Ergebnis von kriegerischen Auseinandersetzungen war, welche Sprache sich wo durchsetzt.
00:18:10: Auch in Österreich haben wir ja Minderheitensprachen wie Kroatisch und Slowenisch und
00:18:17: denke mir moderne Demokratien heute zeichnen, kann man ja immer auch danach beurteilen,
00:18:24: wie gehen sie mit ihren Minderheitensprachen um. - Christina: Mhm. - Es ist ja auch so ein Gradmesser für den Umgang
00:18:32: mit Vielfalt, wie viel Verschiedeneheit darf denn sein, darf denn auch normal sein? Und gerade in
00:18:40: Europa waren ja auch immer viele Leute insofern zweisprachig, zum Beispiel Latein war lange
00:18:47: Zeit die [betont] Sprache nicht nur der Religion, sondern auch der Wissenschaft. Bis ins 18. Jahrhundert wurde an
00:18:54: den Universitäten Latein als Sprache einfach auch gesprochen, später dann Französisch als Sprache
00:19:00: des Adels oder der Diplomatie, dann natürlich auch die Juden und Jüdinnen, die ja meistens auch eine
00:19:07: zweite Sprache, sei es Jiddisch, sei es Ladino mitgebracht haben und gepflegt haben. Also viel,
00:19:15: viel mehr Menschen waren mehrsprachig als wir das heute so glauben, dass früher alles so einheitlich
00:19:23: gewesen wäre. - Christina: Und unseren Zuhörerinnen ist vielleicht auch bereits aufgefallen, dass wir im
00:19:30: Podcast vor allem die Begriffe "Erst- und Zweitsprache" nutzen. Man nennt es ja aber doch noch
00:19:38: auch anders, gerade im Alltag. Wie stehst denn du zu den Begriffen "Fremdsprache" und "Muttersprache"?
00:19:45: Beziehungsweise: Warum entscheiden wir uns in Bibliothekskontext dafür, diese anderen Begriffe zu verwenden?
00:19:56: Ja, "Fremdsprache" ist natürlich mit diesem Wort "fremd" irgendwie behaftet mit so einer Bewertung,
00:20:06: mit die wir nicht so gerne verwenden. Deshalb sprechen wir eher von "Zweitsprache". Das Wort
00:20:14: "Muttersprache", ich finde, das gibt es viele verschiedene Ebenen. Einerseits hat es natürlich
00:20:22: auch was Schönes, die allermeisten von uns lernen ihre erste Sprache doch in der Kommunikation auch
00:20:31: mit ihrer Mutter oder mit jener Person, die diese Mutterrolle, ob das dann eine Frau oder ein Mann
00:20:39: ist, diese Mutterrolle auch einnimmt. Es zeigt auch, dass Sprache ja eingebettet ist in einer
00:20:48: soziale Beziehung, in dem Fall die erste, wichtigste kindliche Beziehung. Aber natürlich ist das Wort
00:20:56: "Muttersprache" auch irgendwo ideologisch aufgeladen, genauso wie das Wort "Heimat" ideologisch aufgeladen
00:21:05: ist. Ich glaube nicht, dass wir jetzt irgendwelche Wörter aus unserem Wortschatz komplett verbannen
00:21:13: müssen. Es geht darum, wie bewusst wie sie verwenden. - Christina: Es geht um achtsames Verwenden der Wörter. - Veronika: Genau. - Christina: Also
00:21:20: wir schließen die jetzt nicht unbedingt aus unserem Sprachgebrauch aus. Uns geht es darum,
00:21:26: achtsam mit all unseren Mitmenschen umzugehen. Und ich stimme dir da in allen zu, außer vielleicht
00:21:32: im Begriff "Muttersprache", weil für mich ist die, aber da hast du ja auch schon was dazu gesagt,
00:21:38: dass "Mutter" als Wort ideologisch aufgeladen ist, unabhängig von "Sprache". Aber ich glaube,
00:21:45: das wäre noch einmal ein eigener Podcast. - Veronika: Da könnten wir sehr viel darüber reden. Also das Thema
00:21:51: Mutter ist natürlich generell emotional, ideologisch, gesellschaftlich auch natürlich was Gender
00:22:01: betrifft unglaublich mit Bedeutungen aufgeladen. Aber das zeigt ja auch wieder das Interessante an
00:22:06: Sprache. Kein Wort steht für sich alleine, sondern bringt immer ganz viel Kontext mit sich. - Christina: Du hast
00:22:15: vorhin von einem, wie ich finde, plädiert für einen wertschätzenden Umgang mit verschiedenen
00:22:22: Sprachen, seien es die, ich nenn es jetzt mal grob "Amtsprachen" oder die "Hauptsprachen" in
00:22:28: einem Land oder die Minderheitensprachen. Und das ist auch etwas, das du in der Programmengestaltung
00:22:36: darzustellen versuchst. Und das erste woran ich da denke, ist das Bilderbuchkino. Das hat nämlich
00:22:43: eine Besonderheit. Welche ist das denn? - Veronika: Wir haben immer wieder für Kinder im Vorschulalter mit ihren
00:22:52: begleitenden Erwachsenen Veranstaltungen, die nennen sich dann Vorlesezeit oder Familienmatinee,
00:23:00: häufig mit einem Bilderbuchkino. Und die machen wir, nicht immer, aber doch in regelmäßigen
00:23:08: Abständen in mehreren Sprachen, zweisprachig, um auch die Situation zu schaffen, dass auf der Bühne
00:23:16: eine zweite Sprache gesprochen wird. Und das schafft noch einmal eine andere Ebene, also zu sehen,
00:23:27: auch für Menschen, die nicht Deutsch als Erstsprache haben. "Meine Sprache wird hier nicht nur akzeptiert",
00:23:36: irgendwie, oder respektiert, "sie wird auch auf die Bühne geholt." Das schafft noch einmal ein zusätzliches
00:23:44: Stück Wertschätzung für eine Sprache. Gleichzeitig gestalten wir das dann immer so, dass es in jeder,
00:23:51: auch für diejenigen, die diese Sprache dann nicht sprechen, auf Deutsch gut alles nachvollziehbar ist
00:23:58: und auch wenn man jetzt die andere Sprache nicht beherrscht, man alles versteht. Man ist dann aber
00:24:05: in der Situation, dass man nicht jeden einzelnen Satz, der auf der Bühne gesprochen wird, versteht.
00:24:09: Und diese Situation des Nichtverstehens einzelner Teile ist auch ganz wichtig im Hinblick auf das
00:24:20: Sprachbewusstsein. Wenn ich selber mal mich dieser Situation ausgesetzt habe, ich verstehe
00:24:26: irgendwas nicht, wie man es ja auch oft auf Reisen hat. Man ist umgeben vielleicht von Leuten und
00:24:32: man versteht einfach kein Wort. Das ist ja auch eine Situation der Unsicherheit. Aber sich dem
00:24:38: auszusetzen finde ich ganz wichtig. Weil es dann wieder eben, wie du vorhin auch erwähnt hast,
00:24:45: die Empathie stärkt, wie es anderen ergeht, wenn sie hier sind und vieles nicht verstehen. Und wir
00:24:52: wollen damit auch, dass was unser Credo ist in unserem Zielgruppenarbeits-Team ist, wir wollen ein
00:24:59: sprachenfreundliches Umfeld schaffen. Zu zeigen: "Ihr, die ihr zu uns in die Bibliothek kommt, ihr seid mit
00:25:11: all euren Sprachen hier willkommen." - Christina: Und dazu haben wir neben den Lesezeiten für die Kinder auch andere
00:25:21: Angebote, zum Beispiel die "Lesezeit in einfachem Deutsch", die von einer lieben Kollegin organisiert
00:25:28: wird. Das ist ohne Anmeldung für jeden, der seine Deutschkenntnisse verbessern will. Man kann
00:25:34: einfach vorbeikommen ab dem Niveau A2 bis zu, also A2/B1 grob. Aber wenn man sich nicht sicher ist,
00:25:44: einfach vorbeischauen und das Ganze auf sich wirken lassen. Wir haben natürlich dann noch Medien
00:25:51: zu Deutscher als Zweitsprache im Haus und zwar von der Vorschule weg, wirklich über alle Altersgruppen
00:25:57: hinweg bis zu den Erwachsenen hin. Auch da kann man einfach vorbeikommen und sich von uns helfen
00:26:06: lassen oder beraten lassen oder einfach nur was ausleihen. Und natürlich stehen auch alle anderen
00:26:12: Angebote in der Stadtbibliothek zur Verfügung. Und wir haben, wenn man dann dann mal vielleicht in einer
00:26:18: Erstsprache lesen will, durchaus auch Erstsprachebücher da auf verschiedenen Sprachen, sei es - wir haben
00:26:25: jetzt gesprochen über Französisch, äh Französisch, Spanisch, Englisch sowieso, haben wir ja letzte
00:26:30: Woche schon geklärt, aber auch Arabisch, Türkisch und Russisch. - Veronika: Ja, was ich auch noch betonen möchte
00:26:40: ist, dass in unserem Team, wir machen ja sehr viel Beratung auch für die Leute, die zu uns in die
00:26:47: Bibliothek kommen und wir bemühen uns - wir können natürlich nicht alle Sprachen abdecken, aber wir
00:26:54: haben doch einige Kolleginnen und Kollegen im Team, die in verschiedenen Sprachen beraten können,
00:27:00: auf Englisch natürlich, auf Französisch, auf Spanisch, wir haben einen Kollegen, der Arabisch spricht.
00:27:06: Also wir bemühen uns auch da - Christina: Italienisch. - Veronika: Italienisch, haben wir auch eine Kollegin natürlich, die Italienisch
00:27:13: als Erstsprache hat. Also wir bemühen uns auf vielen Ebenen, den Leuten da entgegenzukommen und auch
00:27:20: zu zeigen, dass wir da offen sind und auch wenn jemand kommt, wo wir die Sprache, also wo wir jetzt
00:27:28: niemanden im Team haben, der das sprachlich abdecken kann. Ja, wir haben immer noch Wege gefunden,
00:27:36: auch Leute zu unterstützen, dass sie das finden, was sie bei uns suchen und bei uns brauchen,
00:27:43: auch wenn es sprachliche Barrieren gibt, dass man da versucht entgegenzukommen. - Christina: Und mit diesem
00:27:51: schönen Schlusswort, Veronika, ich möchte mich ganz herzlich bedanken für deine Zeit, für deine
00:27:57: Expertise und für dieses sehr angenehme und informative Gespräch. - Veronika: Danke schön. - Christina: Dann verabschieden
00:28:04: wir uns heute vom Vorwort. Ihr schaltet einfach das nächste Mal wieder ein. Es geht spannend weiter
00:28:10: im Oktober. Schreibt uns, teilt uns doch mal eure Erstsprache mit, sollte die nicht Deutsch sein.
00:28:17: Ihr könnt das machen auf post.stadtbibliothek@innsbruck.gv.at oder auch gerne auf Instagram oder auf
00:28:26: Facebook. Bis dahin, alles Gute! [Outro-Musik]
00:28:29: [Pia spricht] Das Vorwort ist eine Produktion der Stadtbibliothek
00:28:58: Innsbruck und Teil der Stadtstimmen, dem Audio-Kanal der Stadt Innsbruck. [Pia spricht]
00:29:03:
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